Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
noch einen hochkriegt.«
»Vielleicht sind sie endlich bereit, sich zum schweinischen Herd zu bekennen. Hehe.«
»Ich habe versucht, Doro zu sagen, dass ich in der City arbeite. Ich wollte es irgendwie beiläufig ins Gespräch einfließen lassen. Aber ich hab’s einfach nicht geschafft. So wie sie drauf ist, würde ich ihr eher einen Kindsmord gestehen.«
»Ja. Die ganzen Schuldgefühle, die wir verinnerlicht haben.Aber weißt du was, Bruder? Ich beneide den ganzen Haufen irgendwie – die hatten was, woran sie geglaubt haben.«
»Ich weiß. Werte und so was. Kommt einem heute total retro vor.« Sie lachen über die Rückständigkeit ihrer Eltern.
Als er auflegt, lässt der Regen nach, und am Himmel über St. Paul’s schimmert ein halber Regenbogen. Wow! Dass etwas so Simples – etwas, das nicht mal was kostet – so unglaublich, lächerlich schön sein kann! Er holt das iPhone wieder aus der Tasche und fummelt an den Kameraeinstellungen herum, doch nach wenigen Sekunden ist der Regenbogen verschwunden.
Als er zurückkommt, sitzt Maroushka schon wieder an ihrem Schreibtisch. Er schüttelt sich den Regen aus dem Haar und hofft, es ist nicht zu offensichtlich, dass er das Gebäude verlassen hat. Chicken ist wieder im Handelsraum auf der Pirsch und gibt Weisheiten und Testosteron von sich.
»Weißt du, was die Wirtschaft kaputt gemacht hat?«
Er beugt sich über Tootie, der nichts sagt, aber seine hellen Augen hebt wie ein Kirchgänger, der die heilige Kommunion empfängt.
»Politiker, die sich in den freien Markt einmischen. Seht euch den Idioten Clinton an. Wollte Eigenheime für Schwarze, Latinos und andere Loser erschwinglich machen, die es sich einfach nicht leisten konnten. Fannie Mae, Freddie Mac, gigantische US-Subprime-Hypotheken-Spieler, Hauseigentum für alle, Kredite an Leute, die zu arm sind, um sie abzuzahlen – geniale Idee, solange die Immobilienpreise steigen. Aber dann ist die Blase geplatzt ... Moral der Geschichte, vertrau der Weisheit des Marktes.«
»Weisheit des Marktes. Toll formuliert, Chief Ken.«
Tootie ist ein Speichellecker der niedrigsten Kategorie.
Serges Blick folgt Chicken, als er näher kommt und eine fleischige Hinterbacke auf Maroushkas Schreibtisch platziert. Er beugt sich vor, um eine gute Aussicht in ihren Ausschnitt zu haben.Sie trägt eine weiße Bluse mit Lochstickerei, die zugleich jungfräulich und unwiderstehlich sexy wirkt.
»Weißt du, was in diesem Land nicht stimmt?«
Maroushka sagt nichts. Chicken macht eine Pause, genießt seine Großartigkeit, der Stoff um seine Lenden wölbt sich sichtbar.
»Soll ich es dir sagen?«
Maroushka nickt.
»Der Niedergang der Religion. Denk mal drüber nach, Maroushka. Die Menschen brauchen jemanden, der ihnen sagt, was richtig und was falsch ist. Werte.«
Maroushka kichert durch ihre kleinen weißen Zähne. »In mein Land Geld ist Wert. Religion ist für Babuschkas.«
Chickens Lächeln wird dünner. Sie sieht ihn kühl an. Wie kommt sie damit durch?
Als sie Serges Blick auffängt, schürzt sie kokett die Lippen, wie um zu sagen, dass sie Chicken nur bei Laune hält und unter anderen Bedingungen viel lieber mit Serge flirten würde. Aber die Bedingungen sind nun mal so, wie sie sind. Wenn er sich durch ihre Augen sieht, fühlt er sich von seiner eigenen Bedeutungslosigkeit verschluckt, ein Hamster im Laufrad des Kapitalismus, der unablässig Geld heranschafft, um den unbändigen Appetit der FATCA-Geldmühle zu füttern. Mädchen wie sie – sie fühlen sich zu Macht und Reichtum hingezogen. Sie können nichts dafür, es liegt in ihren Genen. Wenn er ihr Herz gewinnen will, muss er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Er hat das Darlehen an Otto wieder reingeholt. Er hat genug verdient, um Ende des Monats seine Kreditkartenrechnung auszugleichen – aber warum soll er das jetzt schon tun? Bis die 16 Prozent Überziehungszinsen anfallen, hat er bei 20 Prozent noch ein paar Tausend gemacht. Warum also aufhören? Warum nicht den nächsten Schritt wagen und ein finanzielles Polster anlegen, schneller, als er es mit seinem Gehalt und dem Bonus allein könnte, und dann raus?
Er hat die Trader von Spread-Betting reden hören. In kurzer Zeit lässt sich viel Geld machen, indem auf den Spread zwischen Höchst- und Tiefstpunkt des Markts gewettet wird. Es ist kinderleicht und steuerfrei. Natürlich ist es riskant – man kann auch in kurzer Zeit viel Geld verlieren. Man muss eben rechtzeitig aufhören. Aber er hat sich
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