Die Wesen (German Edition)
Geste.
Luigi Gambretta verzog keine Miene.
„Sicher haben sie sie schon etliche Male bewundert. Wie Tausende von Touristen vor ihnen. Über Jahrhunderte hinweg. Aber ich verspreche ihnen, heute Abend wird sie ihnen in einem neuen Licht erscheinen.“
Kardinal Montelucas Blick wanderte zur Decke empor.
„Und Gott sprach: Lasset uns den Menschen machen. Die Erschaffung Adams. Gottvater streckt ihm den Finger entgegen und erweckt ihn zum Leben. Was für ein wunderbares Bild. Es ist wie eine strahlend schöne Frau. Bevor sie begriffen haben, was hinter der blendenden Oberfläche passiert, ist es längst zu spät.“
Sie durchquerten den Cortile della Pigna.
„Unter uns befindet sich das Archivio Segreto des Vatikans, das Geheimarchiv. Der Bunker, wie wir ihn nennen. Hier hinein. Dann links, zum Fahrstuhl.“
Kardinal Monteluca stieg hinter Luigi Gambretta ein. Er drückte nicht den untersten Knopf für das Geheimarchiv, sondern tippte, in schneller Abfolge, einen mehrstelligen Code auf den verschiedenen Etagenknöpfen ein. Der Aufzug glitt in die Tiefe.
Luigi Gambretta mochte diesen Namen. Er hatte sich nach einem kleinen, unscheinbaren Werkzeug benannt. Einer Waffe. Sie war nicht länger als sein Finger und auch kaum breiter. Entwickelt für den Nahkampf.
Das Gambretta sah wie das Reststück einer Fußleiste aus und war damit so unauffällig, dass es durch jede Kontrolle kam. Es ersetzte eine Pistole, war geräuschlos und hinterließ kein Blut. In Kombination mit einer kleinen Schlaufe konnte man es auf den Finger streifen und die Kilopondleistung eines Schlages um mehr als vierhundert Prozent steigern. Der Impakt auf Schläfe oder Kehle war momentan tödlich.
Luigi Gambretta besaß viele Namen mit dazugehörigen Pässen. Eine eigene, wirkliche Identität hatte er allerdings nicht. Das Einzige, was er über seine Herkunft wusste, war, dass er, laut den Nonnen, bei denen er aufwuchs, und dem Rechtsanwalt, der sein Vormund war, vor den Toren eines Klosters gefunden wurde.
Kaum wenige Tage alt, hatte man ihn aufgenommen und großgezogen. Er war ein widerstrebendes Kind gewesen, das selbst die harte Hand der Nonnen nicht zügeln konnte. Im Alter von fünf Jahren hatte die Oberin beschlossen, dass sie mit ihrem Latein am Ende war. Ein Pfarrer aus einem nahegelegenen Dorf sollte sich der Erziehung des Jungen annehmen. Er sollte ihn sowohl in schulischen Belangen unterweisen als auch ihm Benimm und Anstand beibringen.
Je mehr Widerstände auftraten, umso heftiger widersetzte er sich. Sein Einfallsreichtum, mit dem er zuvor bereits die Oberin und das gesamte Kloster gegen sich aufgebracht hatte, half ihm dabei, nun den Dorfpfarrer zur Weißglut zu treiben.
Die Frage, ob er nun gehorchen wolle oder nicht, beantwortete er stets mit nicht. Es war nur eine seiner leichtesten Übungen. Er entwischte aus dem Fenster im ersten Stock der Pfarrei, wenn er wegen seines Ungehorsams eingesperrt wurde, und kletterte geschickt am Rosenspalier hinab, ohne sich nur ein einziges Mal an den Dornen zu verletzen. Die Schläge ertrug er mit Gleichmut.
Es versetzte den Pfarrer derart in Zorn, dass er begann, ihn festzubinden. Er fesselte ihn auf ein Bett. Dazu benutzte er seine weiße Stola, die er um den Hals trug. Da sie aus Seide war, hinterließ sie keine Spuren an den Gelenken des Jungen. Denn der Pfarrer, obwohl er freie Hand von den Ordensschwestern hatte, wollte nicht, dass man ihm den Jungen wieder wegnahm. Es bereitete ihm eine gewisse Wonne, in seiner Nähe zu sein, wenn auch der Knabe sich unmöglich benahm. Auf gewisse Art reizte ihn die Widerspenstigkeit sogar. Er spürte ein Ziehen im Unterleib, wenn er ihn schlug. Wenn seine Hand auf die zarte, nackte Haut seines Hinterns traf. Sein Mund wurde trocken, wenn er dieser Art von Gedanken nachhing. Als der Jungen nun in völliger Wehrlosigkeit vor ihm lag, übermannte ihn die Begierde.
Er verschloss die Türen, zog die Vorhänge zu und verband dem Knaben den Mund.
Niemand glaubte dem Kind. Niemand hörte ihn auch nur an. Er war allein auf sich gestellt. Die Nonnen waren froh, dass der Junge nun ruhiger, in sich gekehrt war. Den Vormund bekam er nie zu sehen. Mehrfach floh er aus dem Kloster. Allerdings brachte ihn die Polizei immer wieder zurück. Es war, als sei sein Wille gebrochen.
Der Pfarrer verfeinerte die Praktiken, benutzte einen Ballknebel, wenn er ihn nicht gerade oral missbrauchte.
Tränen hatte der Junge schon lange keine mehr. Er fand ein
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