Die Wespenfabrik
Nacht
bleiben oder… Ich kann es einfach nicht. Ich würde dich
gern besuchen, aber du bist so weit weg.«
»Ich komme näher.« Seine Stimme klang wieder
zuversichtlich.
»Gut. Wie weit bist du noch weg?«
»Das sage ich dir nicht.«
»Ich habe dir meine Glückszahl genannt.«
»Ich habe gelogen. Ich verrate dir trotzdem nicht, wo ich
bin.«
»Das ist nicht…«
»Also, ich lege jetzt auf.«
»Möchtest du nicht mit Dad sprechen?«
»Noch nicht. Ich werde später mit ihm sprechen, wenn ich
noch viel näher bin. Ich hänge jetzt ein. Bis dann.
Paß auf dich auf!«
»Paß du auf dich auf!«
»Warum machst du dir Sorgen? Mit mir ist alles in Ordnung.
Was soll mir schon passieren?«
»Laß alles sein, was die Leute ärgern könnte.
Du weißt schon, ich meine, sie sind so schnell aufgebracht.
Besonders was ihre Schoßtiere betrifft. Ich meine, ich will
nicht…«
»Was? Was? Was redest du da von Tieren?«
brüllte er.
»Nichts. Ich wollte nur sagen…«
»Du kleiner Scheißer!« schrie er. »Jetzt
beschuldigst du mich wieder, Hunde zu verbrennen, ja? Und ich
vermute, ich stopfe außerdem kleinen Kindern Würmer und
Maden in den Mund und pinkle sie an, was?« kreischte er.
»Na ja«, sagte ich mit Bedacht, während ich mit dem
Telefonkabel spielte, »da du davon sprichst…«
»Bastard! Bastard! Du kleiner Scheißer! Ich
werde dich umbringen. Du…« Seine Stimme versagte, und ich
mußte das Telefon von mir weghalten, da er anfing, mit dem
Hörer gegen die Wand der Telefonzelle zu hämmern. Lautes
Gepolter übertönte das dezente Piepsen, das
ankündigte, daß sein Geld zu Ende ging. Ich legte den
Hörer auf die Gabel.
Ich blickte mich um, doch von Vater war immer noch nichts zu
sehen. Ich kroch die Stufen hinauf und steckte den Kopf zwischen den
Geländerholmen hindurch, doch der Flur war leer. Ich seufzte und
setzte mich auf die Treppe. Das Gefühl beschlich mich, daß
ich Eric am Telefon nicht besonders geschickt behandelt hatte. Ich
habe nicht viel Talent im Umgang mit Menschen, und obwohl Eric mein
Bruder ist, habe ich ihn seit über zwei Jahren nicht mehr
gesehen, seit er plemplem geworden ist.
Ich stand auf und ging in die Küche hinunter, um
abzuschließen und meine Sachen zu holen, dann ging ich ins Bad.
Ich beschloß, in meinem Zimmer fernzusehen oder
radiozuhören und bald einzuschlafen, damit ich gleich nach der
Morgendämmerung aufstehen und eine Wespe für die Fabrik
fangen konnte.
Ich lag auf dem Bett und hörte John Peel im Radio und den
Wind, der ums Haus blies, und die Brandung am Strand. Unter meinem
Bett verströmte mein Eigengebräu einen hefeschweren
Geruch.
Ich dachte wieder an die Opferpfähle; diesmal ganz gezielt.
Ich stellte mir einen nach dem anderen vor, rief mir ihre Position
und die jeweiligen Komponenten ins Gedächtnis; ich sah im
Geiste, welcher Ausblick sich den nichtsehenden Augen bot, und
hastete durch jedes Bild wie ein Sicherheitsbeamter, der sich durch
die Monitorbildschirme verschiedener Kameras schaltet. Ich hatte
nicht das Gefühl, daß etwas fehlte, alles schien in bester
Ordnung zu sein. Meine toten Wächter, diese Erweiterung von mir
selbst, die durch die schlichte, doch unwiderrufliche Niederlage, den
Tod, meiner Macht unterstanden, nahmen nichts wahr, was mir oder der
Insel hätte Schaden zufügen können.
Ich öffnete die Augen und knipste das Nachttischlämpchen
wieder an. Ich betrachtete mich in dem Spiegel über dem
Frisiertisch auf der anderen Seite des Zimmers. Ich lag oben auf
meinem Bettzeug, nackt bis auf die Unterhose.
Ich bin zu dick. Es ist nicht sehr schlimm, und ich kann auch
nichts dafür – aber trotzdem, ich sehe nicht mehr so aus,
wie ich früher ausgesehen habe. Schwabbelig, das bin ich. Stark
und gesund, aber trotzdem zu plump. Ich möchte dunkel und
bedrohlich aussehen; so wie ich eigentlich aussehen sollte, wie ich
aussehen müßte, wie ich vielleicht aussehen würde,
wenn ich nicht meinen kleinen Unfall gehabt hätte. Wenn man mich
sah, würde man nie auf die Idee kommen, daß ich drei
Menschen umgebracht habe. Es ist einfach nicht gerecht.
Ich schaltete das Licht wieder aus. Der Raum lag vollkommen im
Dunkeln, nicht einmal der Schein der Sterne drang herein,
während sich meine Augen anpaßten. Vielleicht sollte ich
mir eins dieser Weckradio mit Leuchtdiode wünschen, obwohl ich
eigentlich sehr an meinem alten Messingwecker hänge. Einmal habe
ich je eine Wespe an die Klangkörper der kupferfarbenen Glocken
auf dem
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