Die Wiedergeburt
von der Treppe an sein Ohr drangen, ließen ihn aufhorchen. Schlagartig erinnerte er sich an die Jäger, und als er die Augen öffnete, sah er tatsächlich Mihail und Vladimir die Stufen herunterkommen. Vladimir trug seinen Bruder. Lucian erkannte schon von Weitem, dass Gavrils Körper kein Leben mehr innewohnte. Auch wenn der Mann niemals sein Freund geworden wäre, bedauerte er doch seinen Verlust und bewunderte ihn für seine Größe. Gavril hatte alle Feindseligkeiten hintangestellt, um ihnen im Kampf gegen den Unendlichen zur Seite zu stehen. Er hatte sein Ziel erreicht und nicht nur Alexandra gerettet, sondern auch seinen Bruder befreit. Dafür hatte er einen hohen Preis bezahlt.
Vladimir hingegen schien die Ereignisse unbeschadet überstanden zu haben. Nichts an ihm deutete auf das hin, was mit ihm geschehen war. Er war wieder derselbe gedrungene Jäger mit den moosgrünen Augen, der er gewesen war, bevor Andrej von ihm Besitz ergriffen hatte.
Hinter den Jägern ging Robert, in jeder Hand eine Pistole, mit der er die Jäger in Schach hielt. Seinen Freund am Leben und unversehrt zu sehen, erleichterte Lucian. Sein Blick kehrte zu Alexandra zurück. Jetzt gab es nur noch eines, was er sich wünschte. Doch die Mischung aus Trauer und Erleichterung, die ihre Züge prägte, machte ihm deutlich, dass er es nicht bekommen würde.
»Du verdammter Bastard!«, fuhr Mihail ihn an, kaum dass die letzten Stufen hinter ihm lagen. Er blutete aus einer Wunde an der Stirn, schien sonst aber unverletzt. »Dafür wirst du bezahlen!«
Lucian schüttelte den Kopf. »Es ist an der Zeit, Frieden zu schließen.«
»Frieden? Pah!« Der Jäger spuckte aus. »Niemals!«
»Sind die Pistolen mit Silber geladen?«, fragte Lucian Robert, und als dieser nickte, sagte er: »Gut. Dann gib ihm eine.«
»Was?«
»Du sollte ihm eine der Pistolen geben«, wiederholte Lucian. »Lass ihn auf mich schießen, vielleicht kapiert er dann, dass es besser ist, Waffenstillstand zu schließen.«
Alexandra schnappte nach Luft. »Du kannst doch nicht –«
Mit einem entschiedenen Ruck zog er sie hinter sich und baute sich so vor ihr auf, dass sie kein Ziel für Mihail bot. Endlich gab Robert dem Jäger die Waffe.
Mihail spannte den Hahn und trat näher. »Du bist größenwahnsinnig, nicht wahr?«
Er legte an und hielt inne. Sein Blick wanderte zu Vladimir, streifte Gavrils Leichnam. »Es ist vorbei«, sagte er leise, ließ die Pistole fallen und ging zur Tür. Vladimir folgte ihm, den Leichnam seines Bruders auf den Armen. Vor Alexandra und Lucian blieb er noch einmal stehen und bedachte die beiden mit einem langen Blick. »Wenn keiner von euch jemals wieder in unsere Nähe kommt, werden wir vergessen, dass es euch gibt.«
19
Obwohl die Jäger längst fort waren, hatte Robert darauf bestanden, nach draußen zu gehen und vor der Tür Wache zu halten. Lucian mochte unverwundbar sein. Alexandra war es nicht.
Sie saß neben Lucian auf den Stufen und war froh, dass der Schmerz, der noch immer in ihrem Körper wütete, ein wenig nachließ. Nur allmählich begriff sie, dass der Kampf tatsächlich vorüber war.
»Denkst du, dass er diesmal wirklich vernichtet ist?«, fragte sie Lucian. »Für immer und ewig?«
»Er war an das Kreuz gebunden. Was von ihm übrig war, wurde mit der Zerstörung des Kreuzes ein für allemal ausgelöscht.« Er griff nach ihrer Hand und strich mit dem Daumen sanft über ihren Handrücken. »Mach dir keine Sorgen, er wird nicht noch einmal zurückkehren.«
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Lucian streichelte noch immer ihre Hand, als er sie plötzlich freigab und sich erhob. »Es ist an der Zeit, dass wir einander Lebewohl sagen.«
Seine Worte hätten sie nicht überraschender treffen können. Erschrocken starrte sie ihn an. Sie hatte immer geglaubt, dass sie diejenige sein würde, die den Zeitpunkt des Abschieds bestimmte. Damit, dass er es tun könnte, hatte sie nicht gerechnet. »Du gehst?«
»Du brauchst meinen Schutz nicht länger«, sagte er bemüht gelassen. »Abgesehen davon wolltest du die Stadt doch ohnehin verlassen.«
Das wollte sie. Sie konnte nur beten, dass das genügen würde, um ihn vor den Auswirkungen der Prophezeiung zu schützen. »Du hast einmal gesagt, dass …«
»… dass ich dich niemals im Stich lassen würde?«, vollendete er ihre Frage. »Dass du meine Seelengefährtin bist, und dass ich dich liebe?« Er nickte. »Das alles habe ich gesagt, und ich meine jedes Wort davon ernst
Weitere Kostenlose Bücher