Die Wiederkehr
das eine wurde ihm nicht gewährt, und dem anderen würde er wohl nicht mehr entrinnen können. Nicht dieses Mal.
Er war vor dem Osmanen auf die Knie gesunken und hockte weit
vornübergebeugt da, beide Hände vor das Gesicht geschlagen und
vollkommen hilflos - die Haltung eines Delinquenten, der vor dem
Scharfrichter kniet und darauf wartet, dass dieser sein Werk verrichtet.
Tief in ihm war noch ein Funke von Widerstand, der sich gegen das
Unausweichliche auflehnte und ihn dazu bringen wollte, aufzuspringen und zu kämpfen, aber er konnte es nicht. Der Schmerz war zu
heftig und die Verletzung zu schwer. Er brauchte jedes bisschen Energie, das er noch aufbringen konnte, um die schreckliche Verletzung zu heilen. Ihm fehlte die Kraft, auch nur die Arme zu heben,
um den tödlichen Hieb abzuwehren. Durch den dunkelroten, wabernden Vorhang seines eigenen Blutes hindurch sah Andrej, wie der
Türke seinen Krummsäbel in die Höhe riss.
Etwas Dunkles griff nach der Waffe und riss sie zur Seite. Andrej
glaubte hören zu können, wie die scharfe Klinge nicht nur durch das
Leder des Handschuhs, sondern auch durch Fleisch und Sehnen
schnitt, doch Abu Dun verzog nicht einmal das Gesicht. Mit einem
kräftigen Ruck, der die Schneide noch tiefer in seinen Handteller
trieb, riss er dem Türken den Säbel aus der Hand und rammte ihm
den Knauf seiner eigenen Waffe ins Gesicht. Mit einem gellenden
Schrei stürzte der Mann zurück über die Mauer und verschwand in
der Tiefe.
Andrej fiel zur Seite. Seine Hände sanken kraftlos hinab, und für
einen kurzen Moment drohte er endgültig das Bewusstsein zu verlieren. Er hörte, dass Abu Dun zu ihm sprach, aber er verstand die Worte nicht. Es schien endlos zu dauern, bis der tosende Schmerz in seinem Schädel allmählich nachließ, und noch länger, bis er die Kraft
fand, die Augen zu öffnen.
Das Erste, was er sah, war ein nachtschwarzes Gesicht unter einem
Turban der gleichen Farbe, das spöttisch auf ihn herabgrinste. Nur in
seinen Augen war ein ganz schwacher Funke von Sorge, der Andrej
erschreckte.
»Du lässt allmählich nach, alter Mann«, scherzte Abu Dun. Er ließ
den Krummsäbel fallen, den er dem türkischen Krieger entwunden
hatte, und ballte die verletzte Hand zur Faust. Blut rann aus seinem
Handschuh und tropfte zu Boden. Es sah aus, als drücke er einen
blutgetränkten Schwamm aus. Schon nach wenigen Augenblicken
verebbte das rote Rinnsal. »Alles in Ordnung?«, fragte er in beiläufigem Ton.
Andrej hätte lachen mögen, wenn er noch die Kraft dazu gehabt
hätte, aber so stemmte er sich nur mühsam in die Höhe und ließ sich
schwer auf die steinerne Wehrmauer sinken, um keuchend nach Luft
zu ringen. Alles schien sich um ihn zu drehen. Das Schlimmste war
vorbei. Die schreckliche Wunde hatte längst aufgehört zu bluten und
würde in wenigen Augenblicken vollends verschwunden sein, aber
das Gefühl der Erschöpfung nahm zu.
»Du… bist verrückt!«, murmelte er, als er wieder halbwegs zu Atem gekommen war. »Wenn jemand gesehen hat, was du getan
hast…«
»Und wenn schon«, entgegnete Abu Dun gleichgültig. »Es war der
einzige Weg, dich zu schützen. Wären deine Augen auch nachgewachsen, wenn der Kerl sie dir ausgestochen hätte, oder wolltest du
nur warten, bis er dir den Kopf abschlägt, und ihn dann zu Tode erschrecken, indem du ihn dir wieder aufsetzt?«
»Das ist nicht komisch«, sagte Andrej ernst.
»Das sollte es auch nicht sein«, antwortete Abu Dun, ebenso leise
und ebenso ernst wie er, ohne ihn anzusehen. Er öffnete und schloss
ein paar Mal die Faust und betrachtete seine Handfläche. Das Leder
seines Handschuhs war sauber durchschnitten, aber die Haut darunter
wies nicht die mindeste Verletzung auf. »Das war knapp, Hexenmeister. Du wirst alt.«
Andrej starrte ihn finster an, antwortete aber nicht, sondern blickte
sich stattdessen aufmerksam um. Es war vorbei, jedenfalls für den
Moment. Die letzten Angreifer waren erschlagen oder von der Mauerkrone vertrieben worden, und das türkische Heer befand sich auf
dem Rückzug, um sich neu zu formieren. Wahrscheinlich würde es
nicht lange dauern, bis der nächste Angriff erfolgte, aber bis dahin
hatten sie eine kleine Gnadenfrist gewonnen, möglicherweise sogar
Zeit genug, um die Verletzten zu versorgen und die Toten zu bergen.
Andrej war in Gedanken versunken. Hätte die Wucht des Angriffs
auch nur noch wenige Augenblicke länger angehalten, wären vielleicht auch Abu
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