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Die Wiederkehr

Die Wiederkehr

Titel: Die Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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konnten.
»Meinst du vielleicht mir?«, gab Andrej ebenso leise zurück. »Unsere Zeit wird allmählich knapp.« Er sah sich unauffällig nach rechts
und links um, ganz wie ein Mann, der das erste Mal in diesem Teil
der gewaltigen Stadt war, und seine Umgebung mit einer Mischung
aus Neugier und Vorsicht musterte.
    »Davon spreche ich nicht«, versetzte Abu Dun gereizt. »Was will
dieser Kerl von uns? Wenn du mich fragst, sollten wir einfach von
hier verschwinden.«
    »Und uns damit noch verdächtiger machen?« Andrej seufzte, schüttelte aber auch zugleich den Kopf. Er konnte Abu Dun verstehen.
Der Kampf hatte bis zum Einbruch der Dämmerung gedauert, ehe
sich die Angreifer endgültig zurückgezogen hatten. Gegen jede Erwartung - und auch gegen jede Wahrscheinlichkeit, wie sich Andrej
schaudernd eingestand - hatten die Wälle dem Ansturm standgehalten. Die Stadt hatte eine Frist bis zum nächsten Tag gewonnen, aber
sie hatte einen hohen Blutzoll dafür entrichten müssen. Es hatte zahlreiche Tote gegeben und viele Verwundete. Abu Dun und er hatten
bis zuletzt auf der Mauer ausgeharrt und ihren Teil dazu beigetragen,
die Türken zurückzuschlagen. Doch selbst Andrej war am Ende nicht
mehr sicher gewesen, dass sie es schaffen würden. Der Kampf hätte
keine Stunde länger dauern dürfen.
    Andrej war zu Tode erschöpft. Jeder Muskel in seinem Körper
schmerzte, und es gab nichts, wonach er sich im Moment mehr sehnte, als bis zum nächsten Morgen zu schlafen.
    »Graf von Salm mag alt sein, aber er ist sicherlich kein Dummkopf«, fuhr er nach einer Weile fort, und mehr an sich selbst gewandt
als an den Nubier. »Sonst hätte man ihm kaum die Verteidigung der
Stadt anvertraut.«
    »Und?«, fragte Abu Dun. Er schenkte einem der erschöpften Soldaten, die sie eskortierten, einen giftigen Blick und hob dann die Hand
vor die Augen, um die Finger ein paarmal ruckartig zur Faust zu
schließen und wieder zu öffnen. Andrej wünschte sich, er hätte das
nicht getan.
    Dennoch sparte er sich jede Bemerkung, hob nur die Schultern und
beantwortete mit einiger Verspätung Abu Duns Frage - allerdings
wechselte er vorsichtshalber ins Arabische, Abu Duns Muttersprache: »Du hast doch nicht geglaubt, dass die Geschichte von den beiden Fremden, die unter den Türken gewütet haben und dabei selbst
nahezu unverletzt geblieben sind, nicht an sein Ohr dringen würde,
oder?«
    Abu Dun schenkte ihm einen verächtlichen Blick und fuhr fort, die
Hand zur Faust zu schließen und ruckartig wieder zu öffnen. Er sagte
nichts.
»Es wundert mich nicht, dass er uns sehen will«, fuhr Andrej fort.
    Er lachte leise. »Wir sind Helden, weißt du?«
»Darauf kann ich gut verzichten«, schnaubte Abu Dun. »So wie auf
diese ganze Stadt, nebenbei bemerkt.
Für meinen Geschmack sind wir schon viel zu lange hier.«
»Dann schlage ich vor, dass du die Stadt verlässt«, stichelte Andrej.
»Ich bin sicher, die Wache am Tor lässt dich passieren, wenn du nur
freundlich genug darum bittest.« Er hob die Schultern. »Aber du solltest warten, bis es ganz dunkel geworden ist. Die Gegend hier ist
auch nicht mehr das, was sie einmal war. Es treibt sich eine Menge
zwielichtiges Volk draußen herum.«
Abu Dun schenkte ihm einen giftigen Blick, fuhr aber unbeeindruckt fort: »Wir wollten die Stadt längst verlassen haben, bevor die
Türken eintreffen. Wir haben nicht die kleinste Spur von diesem
Breiteneck gefunden. Wenn du mich fragst, dann war er klüger als
wir und ist längst weg.«
Das war genau das, was auch Andrej seit geraumer Zeit dachte -
und mit jedem Tag mehr fürchtete, den sie vergeblich nach dem Gelehrten suchten. Trotzdem war er noch nicht bereit, die Hoffnung
endgültig aufzugeben. »Er ist vor zwei Tagen noch in Wien gesehen
worden«, rief er Abu Dun in Erinnerung.
Abu Dun machte sich nicht einmal die Mühe ihm zu antworten, und
auch Andrej beließ es bei einem abschließenden Nicken. Der Mann,
der Breiteneck angeblich gesehen und diese Information an sie verkauft hatte, war alles andere als vertrauenswürdig gewesen. Die heruntergekommene Absteige, zu der er sie geführt hatte - und in der
Breiteneck angeblich wohnen sollte - war leer gewesen, wenn auch
erst kurze Zeit zuvor und offenbar in großer Hast verlassen. Aber das
war in diesen Tagen nicht bemerkenswert. Viele Einwohner Wiens
waren gerade noch rechtzeitig vor der Belagerung aus der Stadt ge
flohen.
Sie hatten ihr Ziel erreicht: ein großes, mehrstöckiges Gebäude,

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