Die Wiederkehr
Dun und er jetzt nicht mehr am Leben. Nur noch
wenige Verteidiger hielten sich auf diesem Abschnitt der Wehrmauer
auf, und kaum einer war ohne schwere Blessuren davongekommen.
Aber immerhin schien niemand gesehen zu haben, was ihm zugestoßen war, und auch Abu Duns kühne Verteidigung war unbemerkt
geblieben.
Es war nicht das erste Mal in dieser Schlacht, dass Abu Dun so
waghalsig gekämpft hatte, und es hatte Andrej diesmal so wenig gefallen wie zuvor. Ihm waren keineswegs die scheuen, manchmal
schon furchtsamen Blicke entgangen, die sie trafen, die Art, wie die
Männer, mit denen sie gerade noch Seite an Seite gekämpft hatten,
den Blick hastig abwandten, wenn er, oder vor allem Abu Dun, in
ihre Richtung sahen.
Schon der Umstand, dass der Nubier gegen andere Muselmanen
kämpfte, hatte Anlass zu Misstrauen geboten, und Abu Dun schien es
darauf angelegt zu haben, dieses Misstrauen noch zu schüren. Er hatte in den vergangenen Stunden derart unter den Angreifern gewütet,
dass es keineswegs unbemerkt geblieben sein konnte. Die Kämpfe
hatten Spuren hinterlassen. Sein Gewand war über und über mit Blut
besudelt und hing in Fetzen von seinem Körper. Dennoch hielt er
sich nicht nur weiterhin auf den Beinen und kämpfte genauso kraftvoll und entschlossen wie zu Beginn, er hatte auch keine einzige
sichtbare Wunde davongetragen. Das musste auffallen und Verdacht
erwecken.
»Trotzdem«, murmelte Andrej mit einiger Verspätung. »Du musst
lernen, dich besser zu verstellen, oder du gefährdest unsere Tarnung.«
Abu Dun betrachtete weiter seine Hand. »Ich kann mich täuschen«,
sagte er in fast beiläufigem Ton, »aber warst du es nicht, dem gerade
fast der Schädel gespalten worden wäre?«
»Das war etwas anderes!«, schnaubte Andrej. »Verdammt, du
musst lernen, deine Unverwundbarkeit nicht als Waffe einzusetzen!
Wenigstens dann nicht, wenn es jemand sehen kann! Ich will nicht
wegen des Vorwurfs der Hexerei auf dem Scheiterhaufen landen.«
»Und ich will nicht in den nächsten hundert Jahren für einen blinden Unsterblichen den Aufpasser spielen, nur weil ihm seine Tarnung so wichtig ist, dass er sich im Kampf verstümmeln lässt«, versetzte Abu Dun scharf.
Einen Moment lang starrten sie sich zornig an. Es war nicht das erste Mal, dass sie dieses Gespräch führten, aber der Ton war schärfer.
Immerhin schien Abu Dun einzusehen, dass sie ihren Disput jetzt
nicht lösen würden. Seufzend schüttelte er den Kopf. »Was war überhaupt mit dir los?«, wollte er wissen. »Seit wann bringt dich ein
einzelner Mann in Bedrängnis?«
»Er kämpfte gut«, antwortete Andrej.
Abu Dun schüttelte den Kopf. »Nicht so gut.«
»Ich…« Andrej fuhr herum. Er hatte den Fremden völlig vergessen,
durch dessen Anblick er überhaupt erst in Gefahr geraten war. Sein
Blick suchte den Turm ab, doch die Gestalt in dem grauen Mantel
war verschwunden.
»Ich war abgelenkt«, sagte er schließlich.
»Abgelenkt?« Mit einer unwirschen Geste scheuchte Abu Dun einen Feldscher davon, der sich ihm nähern wollte. Er sah ebenfalls
kurz zu dem Turm hin, ehe er Andrej wieder anblickte. »Wovon?«
Andrej zuckte die Achseln. »Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, aber…« Er sprach nicht weiter.
Auszusprechen, was er gerade gedacht hatte, hätte dem Unvorstellbaren ein Gewicht verliehen, das ihm nicht zustand. Statt auf Abu
Duns fragende Blicke zu reagieren, drehte er sich um und konzentrierte sich auf eine Abteilung von zehn oder fünfzehn Landsknechten, die gerade den Mauergang heraufkamen, um den Platz ihrer gefallenen und verwundeten Kameraden einzunehmen. Dann wandte er
sich abermals um und sah nach Süden. Das türkische Heer bedeckte
die Ebene vor der Stadt wie eine gewaltige Masse winziger, gepanzerter Insekten. Millionen, wie es ihm vorkam. Der Wind trug eine
sonderbare Mischung aus Brandgeruch und dem unverkennbaren
Gestank eines Lagers mit sich. Andrej starrte über die Mauer zu dem
türkischen Heer hinüber. Aus dem hoffnungslosen Durcheinander, in
das die vorderen Reihen während des Rückzugs kurzzeitig geraten
waren, war inzwischen wieder eine geordnete Formation geworden,
die erneut vorzurücken begann.
»Es geht los«, murmelte Andrej vor sich hin. »Sie greifen wieder
an.«
»Das gefällt mir nicht«, flüsterte Abu Dun, während sie den beiden
Soldaten durch die verwinkelten Gässchen und Straßen Wiens folgten. Wohlweislich sprach er jedoch so leise, dass die Männer es nicht
hören
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