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Die Wiege des Windes

Titel: Die Wiege des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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ließ sich von einem Sanitäter eine dampfende Tasse Tee reichen.
    Mittlerweile hatten die Kollegen der Streifenpolizei den Uferbereich mit rot-weißem Absperrband markiert. Inmitten des kleinen abgegrenzten Platzes sah Trevisan eine schwarze Plastikplane. Er konnte sich denken, was er darunter vorfinden würde.
    Einer der Polizisten drehte sich zu ihnen um. Trevisan kannte den Oberkommissar vom 1. Revier.
    »Moin«, grüßte der Beamte. »Leider ein unappetitlicher Anblick.«
    Trevisan beobachtete, wie Horst Kleinschmidt von der Spurensicherung mit einem jungen Kollegen auf die schwarze Plane zuging. Nur kurz hob er die Plastikfolie an, dann ließ er sie wieder sinken. Der Jüngere wandte den Kopf ab.
    »Ein Selbstmörder?«, fragte Hagemann.
    Der Oberkommissar schüttelte den Kopf. »Eher nicht, dem Toten sind die Hände auf dem Rücken zusammengebunden.«
    »Also dann raus mit der Sprache.«
    Der Kollege verzog den Mundwinkel. »Gut, in Kurzform also«, erwiderte er angekratzt. »Heute Morgen gegen sieben erhielten wir von einem Angler einen Notruf. Er hatte im Schein seiner Taschenlampe die Leiche noch halb unter Wasser treibend entdeckt. Wir haben die Feuerwehr informiert. Die zogen ihn raus. Hatte sich offenbar in den Schlingpflanzen verfangen und bekam jetzt durch den Fäulnisprozess Auftrieb. Ein Mann zwischen zwanzig und fünfzig. Lag bestimmt schon über einer Woche in der Suppe, wahrscheinlich sogar länger. Das kalte Wasser konserviert.«
    »Gibt es Hinweise auf seine Identität?«
    »Schwer zu sagen. Wo normalerweise der Kopf sitzt, ist jetzt nur noch Hackfleisch. Wahrscheinlich die Schiffsschraube eines Außenborders. Er trägt eine zerschlissene Jeans und einen dunklen Pullover. Die Hosentaschen sind leer.«
    »Eine unbekannte männliche Leiche«, resümierte Hagemann. »Also dann, frohe Weihnachten.«
    »Der Taucher hat die Umgebung des Fundortes unter Wasser abgesucht«, fuhr der Oberkommissar fort. »Er fand in der Nähe einen Rucksack. Aber es ist alles sehr dunkel dort unten. Jetzt suchen die Feuerwehrmänner mit ihren Stangen weiter. Für den Taucher ist es bei den Wassertemperaturen nach zehn Minuten vorbei.«
    Trevisan nickte. »Habt ihr den Rucksack untersucht?«
    »Wir fanden darin eine Regenjacke, eine leere Geldbörse mit ein paar unidentifizierbaren Papieren und die Plastikkarte einer Bücherei in Würzburg. Das liegt im Norden von Baden Württemberg. Die Karte ist ausgestellt auf einen gewissen Peter Luksch. Aber es gibt kein Bild und kein Geburtsdatum, nur eine Mitgliedsnummer.«
    »Bayern«, antwortete Trevisan.
    »Was?«, fragte der Kollege erstaunt.
    »Würzburg liegt in Bayern«, erklärte Trevisan und ließ ihn stehen.

6
    Rike schlich sich zur Wohnungstür und horchte angestrengt ins Treppenhaus. Zwar hatte das Schaben aufgehört, dennoch spürte sie instinktiv, dass sich auf der anderen Seite der Tür ein Mensch befand. Vielleicht Larsen? Er war in letzter Zeit oft in krumme Geschäfte verwickelt gewesen. Konnte sein, dass er nicht gesehen werden wollte. Aber warum klopfte er dann nicht?
    Oder kam der Einbrecher zurück? Aber warum? Hier gab es nicht viel zu holen. Die Einrichtung war zwar nicht von schlechten Eltern, doch von den 7500 Mark, die sie im Bad hinter einer Kachel versteckt hatte, konnte nicht einmal Larsen etwas wissen. Draußen knackte es erneut. Rike erschrak. Sie beobachtete die Türklinke, doch nichts tat sich. Wie war der Kerl nur ins Haus gekommen? Außer ihr bewohnte niemand das Gebäude, und das Immobilienbüro hatte schon seit Wochen geschlossen. Einen Augenblick lang überlegte sie, die Polizei zu rufen, doch sie verwarf den Gedanken. Seit sie vor knapp einem Jahr in Hamburg nach der Demo gegen die fortschreitende Globalisierung und die immer himmelschreiender werdende Armut in den Ländern Afrikas einem Polizisten das Nasenbein gebrochen hatte, war ihr Verhältnis zu den Ordnungshütern gespalten. Eigentlich war es Notwehr gewesen, weil der Polizist sie begrabscht hatte. Er hatte sie angefasst, obwohl sie nur friedlich auf dem Boden gesessen und sich bei ihren Mitstreitern eingehakt hatte. Der Richter hatte über ihre Einwände nur gelacht und sie verurteilt. Achttausend Mark hatte sie der Spaß gekostet.
    Das Knacken wiederholte sich. Rike legte vorsichtig die Hand an die Türklinke. Hochkonzentriert lauschte sie in die Stille. Dann hörte sie leise Schritte, die sich entfernten. Es knackte erneut, weiter weg diesmal. Zweifellos knarrte die dritte Stufe

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