Die Wiege des Windes
vorbereitet war, hatte er vielleicht den Hauch einer Chance. Er würde sich darum kümmern müssen. In den nächsten Tagen schon. Es war nur ein klitzekleiner Schritt zwischen einem kalten Grab draußen auf See und einer sicheren Zukunft, irgendwo in der Karibik, am blauen Meer, unter Palmen und mit allem, was ein Mann sich erträumte.
Schon oft in seinem Leben hatte er vor einem Abgrund gestanden, war er gestrauchelt, aber nie gestürzt. Doch seit einigen Tagen sah es danach aus, als könnte ihm das passieren. Dieser Mikrokosmos, in dem er lebte und den er lenkte, schien stillzustehen. Und Stillstand war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte. Nur noch einen einzigen Trumpf hielt er in den Händen. Es wurde langsam Zeit, ihn auszuspielen.
»Liebling, kommst du?«, ertönte die helle Frauenstimme aus dem Schlafzimmer.
Der Kahle erhob sich, legte das Telefon auf das Waschbecken und schaute in den Spiegel.
»Wir warten auf dich!« Diesmal war das Timbre dunkler als zuvor.
Er stützte sich auf das Becken und schaute in den Spiegel. Er sah schrecklich aus. Vielleicht war es besser, die beiden Nutten einfach an die Luft zu setzen. Seine Stimmung war sowieso auf den Nullpunkt abgesackt. Er wandte sich zur Tür. Doch dann überlegte er es sich anders. Einsamkeit konnte er jetzt am wenigsten brauchen. Er drehte den Wasserhahn auf und ließ das kalte Wasser über seine Hände rinnen. Schließlich hielt er seinen Kopf unter den Wasserstrahl.
5
Trevisan lag quer im Doppelbett. Die Decke war verrutscht und sein Körper entblößt. Er schnarchte leise. Der grelle Ton des Telefons zerschnitt die morgendliche Stille. Trevisan öffnete die Augen. Schlaftrunken suchte er nach der Nachttischlampe. Es dauerte eine Weile, bis er den Schalter fand. Sein Blick streifte den Radiowecker. Es war kurz nach sieben Uhr. Erwartungsvoll folgte er den Tonintervallen, doch er fand den kleinen schwarzen Handapparat nicht und fluchte. Endlich entdeckte er das Mobilteil in dem kleinen Graben, der die beiden Matratzen voneinander trennte. Mit zitternden Fingern griff er danach. Oh, Gott, dachte er, lass es jetzt bloß nicht aufhören.
Er drückte mit fahrigen Fingern auf die kleine grüne Taste. Noch bevor sich der Teilnehmer meldete, raunte er ein fragendes »Paula?« in das Mikro.
»Bitte?«, drang die Stimme eines Mannes aus dem Lautsprecher. »Martin, bist du es?«
Trevisan schluckte. »Wer denn sonst. Bist du das, Johannes?« Sein Kopf schmerzte, als ob eine Horde Hummeln darin ein Wettfliegen veranstaltete.
»Ja. Ich habe eine schlechte Nachricht. Draußen im Hafen treibt eine Leiche und wir beide haben Bereitschaft. Wir treffen uns in einer halben Stunde im Büro.«
Johannes Hagemann gehörte schon seit einer Ewigkeit zum 1. Fachkommissariat. Nach dem Unfalltod von Lutger Bornemann oblag ihm als Ältesten die Leitung, bis Bornemanns Nachfolger bestimmt war. Hagemann trieb es trotz seiner achtundfünfzig Jahre noch immer auf die Straße. Einen Posten im Innendienst hatte er nie angestrebt. »Weißt du, ich halte es wie die alten Cowboys, ich will auch in meinen Stiefeln sterben«, hatte er immer gesagt, wenn man ihn fragte, warum er sich in seinem Alter den Stress des Ermittlungsdienstes antat. Wie ernst dieser lockere Spruch gemeint war, hatte damals niemand geahnt. Doch seit ein paar Monaten war es traurige Gewissheit. Johannes hatte Krebs. Unheilbar. Alle Versuche der Kollegen ihn zu schonen hatte er abgelehnt. Er wollte nicht zu Hause oder an einem Schreibtisch in der Direktion auf sein Ende warten. Er gehörte noch immer zum Team des ersten Fachkommissariats.
Und das war gut so, denn üppig war die Personalsituation in diesen Tagen nicht. Neben Johannes Hagemann gab es nur noch den kauzigen Dietmar Petermann und Markus Sauter, der sich zu Höherem berufen fühlte und die Aufnahmeprüfung für das Studium an der Polizeihochschule bestanden hatte. Spätestens im Februar würde der seine Koffer packen. Zwar hatte Kriminalrat Beck, der Leiter der Kriminalpolizei, Besserung in Aussicht gestellt, doch den Termin für Zuversetzungen hatte er wie immer offen gelassen. »Sie müssen jetzt erst einmal so zurechtkommen.«
Also blieb Trevisan nichts übrig, als sich aus dem Bett zu erheben, obwohl er sich am liebsten krank gemeldet hätte. In der Küche schaltete er den Wasserkocher ein, ohne einen starken Kaffee würde er den Vormittag nicht überstehen. Dann verschwand er ins Bad. Eine halbe Stunde, hatte Johannes gesagt. Als Trevisan
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