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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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hetzen die meisten lieber in die Arbeit, als ihren Morgenschiss abzuwarten. Was soll da anderes rauskommen, als eine Bevölkerung mit flächendeckenden Darmkrankheiten? Reizdarm, Zöliakie, Unverträglichkeiten. Alles Folgen verdrängter Scheiße. Aus den Augen, aus dem Sinn wird unsere Scheiße gespült. Zu unnützem Klärschlamm, der wegen seiner Schwermetallbelastung verbrannt werden muss. Der Darm ist das unerforschteste Organ, ganz einfach, weil er weniger prestigeträchtig ist als Herz, Nieren, Leber. Obwohl er hochkomplex von Milliarden von Bakterien besiedelt wird, die Darmflora sich über Jahre hindurch aufbaut, sich mit dem Lebensalter verändert und bei jedem Menschen individuell ist. Scheiße dürfte absolut kein Schimpfwort sein! Die Bezeichnung ›Scheißer‹ oder ›Scheißerin‹ müsste als
Auszeichnung
dienen. Der Ratschlag ›Geh scheißen‹ sollte uns eindringlich an unsere tatsächliche Lebensaufgabe erinnern.« – Helen hat noch länger und ausführlicher geredet, aber so in dem Stil ist es weitergegangen. Wie gesagt, mir sind ihre Argumente bekannt, obwohl Helen normalerweise nicht so missionarisch drauf ist. Ich nehm an, das ist vom Wein gekommen. Natürlich waren meine Freundinnen irritiert und erleichtert, als Helen ihre Belehrungen beendet hat. Abschließend hat sie ihr Glas geleert und ist grußlos aus dem Restaurant. Meine Freundinnen haben mich entgeistert angeschaut. »Es lebt sich eigentlich ganz gut mit Helen«, hab ich ihnen erklärt.
    +++ Hypo Alpe Adria braucht zusätzliche 2,2 Milliarden Euro +++ 1.250 Selbstmorde jährlich in Österreich +++ Österreichs Wirtschaft knapp vor dem Stillstand +++ massives Lobbying für Energiesparlampe +++ Inflation ist die größte Gefahr +++ Ölsuche in Arktis kostet Shell 1,6 Millionen Euro pro Bohrminute +++

1930
    Magda Wegmayer arbeitete als Eisverkäuferin in einer Café-Konditorei in der Mariahilfer Straße. Die ersten sonnigen Frühlingstage ließen einen Menschenstrom an Magdas Eisstand vorbeipatroullieren, doch Magdas Augen stierten gelangweilt geradeaus.
    »Eine Tüte mit Erdbeer, Vanille, Schoko.« Ein junger Mann war aus den flanierenden Spaziergängern ausgebrochen und vor Magda zu stehen gekommen. Dunkle Knopfaugen, bartloses, unbehelligtes Gesicht, schwarze Haare mit Pomade nach hinten gekämmt. Eine freiheitsliebende Strähne hatte sich, wie ihr Träger aus der Menschenmenge, aus der Haarmasse gelöst und hing in die Stirn. Mit einer erprobten, aber wenig erfolgversprechenden Handbewegung bugsierte er die Strähne nach hinten, lüftete dazu kurz seinen Hut. Magda überreichte ihm die Eistüte.
    »Macht vierzig Groschen«, sagte sie.
    Der Mann holte Münzen aus der Tasche seiner Bundfaltenhose, legte sie in Magdas Hand. Mit der freien Hand hob er seinen Borsalino zur Verabschiedung, die Haarsträhne fiel wieder nach vorn. 10 Groschen Trinkgeld.
    »Hawidere«, dachte Magda.
    Am nächsten Nachmittag zog der Menschenschwarm um nichts schwächer durch die Einkaufsstraße. Straßenbahnen klingelten alarmierend, weil immer wieder unachtsame Frühlingssonnenhungrige auf die Gleise liefen. Der junge Mann in bundfaltiger Anzughose mit weißem Hemd, Hut und Sakko blieb erneut vor Magdas Eisstand stehen.
    »Schoko, Erdbeer, Vanille, bitte«, variierte er seine Bestellung nur marginal. Auch Trinkgeld und Verabschiedungsritual behielt er bei.
    »Vanille, Erdbeer, Schoko.« Selbst am dritten Tag verlangte es den jungen Mann nicht nach Abwechslung.
    »Die Spezialität des Hauses ist das Marilleneis«, heuchelte Magda Geschäftssinn. Es war ihr völlig gleichgültig, welche Eissorten sie verkaufte. Sie wollte den Eiskäufer zum Reden bringen.
    »Wenn S’ eines wollen, lad ich Sie gern dazu ein.«
    »Danke, ich mag kein Eis. Is mir zu kalt.«
    »Dann ein Kaffee?«
    »Lieber – nein, gern.«
    Der Eiskäufer lächelte. »Wann haben S’ denn frei?«
    »Um fünf.«
    Jetzt verschwand seine Heiterkeit, stattdessen verzog er den Mund. »Das is schad, da bin ich schon wieder im G’schäft.«
    »Na, kann ma nix machen.«
    »Vielleicht ein anderes Mal?«
    »Ja, vielleicht.«
    Das war ihr erster Wortwechsel, auf den Bezahlung, Trinkgeld, Hut lüften, Haarsträhne in die Stirn und des jungen Mannes Abgang erfolgten.
    Am nächsten Tag stand er wieder vor dem Eisstand. Er gab keine Bestellung ab. Er stand nur da, seine schwarzen Knopfaugen sahen müde aus. Er unterließ es, seine Strähne aus der Stirn zu streichen. Magda lächelte.
    »Geht’s Ihnen nicht

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