Die wilde Gärtnerin - Roman
gut?«, fragte der junge Mann, weil ihn ihr verklärter Blick irritierte.
Sie betrachtete in der Mitte seines fein säuberlich rasierten Kinns ein Grübchen. »Mir geht’s bestens«, hielt Magda sich zurück, in die Versenkung dieses Grübchens zu tauchen. »Aber Sie schauen mitgenommen aus, wenn ich das so sagen darf.«
»Dürfen Sie. Gestern is spät worden.«
Ein Hallodri, dachte Magda. Doch diese Bezeichnung wollte so gar nicht zu diesem weichen Gesicht passen.
»Wir haben eine Hochzeit in der Wirtschaft g’habt, das is immer viel Arbeit. Bis um fünf in da Früh war ich angehängt.« Magda behielt ihren begriffsstutzigen Blick bei. »Ich bin Kellner im
Wirtshaus zum Lerchenfeld
. Übrigens, Franz Cerny mein Name.« Er lüftete den Hut und streckte ihr seine Hand entgegen.
Eine äußerst gepflegte Hand für einen Kellner, dachte Magda. »Wegmayer«, erwiderte sie.
»Fräulein Wegmayer«, setzte er an, »morgen is mein freier Tag, wollen S’ mit mir spazieren gehen?«
So müde, war Magdas Überlegung, konnte er dann auch wieder nicht sein. »Ja«, sagte sie. Du mit deinen Knopfaugen, geh’ma spazieren, dachte sie.
Sie überlegte, an wen er sie erinnerte. Max fiel ihr ein. Ihr Bruder müsste gleich alt sein wie Franz Cerny, ansonsten wiesen die beiden keinerlei Ähnlichkeit miteinander auf. Max war einen Kopf größer und wesentlich schlechter gekleidet. Selbst dann, wenn er den korrekteren seiner unkorrekten Geschäfte nachging. Außerdem würde ihr Bruder niemals Trinkgeld geben. Ganz zu schweigen von solch ungeheuren Summen. Mein Bruder is ein windiger Gauner geworden, gestand Magda sich ein, um gleich darauf Milde über ihr Urteil walten zu lassen. Die Umständ’, die haben ihn dazu g’macht. Ohne Krieg. Wer weiß, wie er worden wär?
Max hatte die Familie im und nach dem Krieg durchgefüttert, nicht die lächerlichen Stiegenhäuser, die Magdas Mutter geputzt hatte. Denn um Reinheit scherte sich niemand. Etwas zwischen den Zähnen, außer Angst und Schrecken, war wichtiger als aufgewischte Treppen. Spätestens Ende 1915, als die Todesnachricht von Magdas Vater in Wien eintraf, löste sich der letzte Rauch aus seiner stinkenden Pfeife in abgestandene Luft auf. Und bevor sich seine vier Kinder, die gräfliche Frieda und seine Frau auf den Weg zu ihm ins Jenseits begeben hätten, nahmen sie lieber noch zwei Bettgeher auf, die ein bisschen Geld daließen. Doch was nützten die schönsten Banknoten, wenn man mit ihnen nichts tun konnte, außer feuchte Wände zu tapezieren? Der Einzige, der nützte, war Max. Er war Meister-Schleichhändler und brachte von einem seiner Streifzüge zwei Kaninchen mit. Die sperrte er in selbst gezimmerte Holzställe, züchtete sie in der Wohnung, zog ihnen das Fell ab, verkaufte sie und sicherte somit das Überleben seiner Geschwister. Er gewöhnte sich an rauere Umgangsformen, illegale Geschäfte und daran, dass seine Kindheit vorzeitig beendet war. Die Umständ’, entschuldigte ihn Magda.
Nicht Franz holte
sie
ab, sondern sie
ihn
. Eine der positiven Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges. Frauen durften kurze Haare tragen, Hosen anziehen und obendrein Männer zum ersten Rendezvous abholen. Magda trug trotzdem Röcke. Ihre verbogenen Beine kümmerten sie dabei herzlich wenig. Die waren keine Seltenheit. Aufgrund von Unterernährung und Vitamin-D-Mangel in jungen Jahren hatten neunzig Prozent ihrer Generation O-Beine. Magda fand sich mit ihren fünfundzwanzig Jahren hübsch. Ihre Stupsnase kam durch den ondulierten Bubikopf prächtig zur Geltung, und ihren Busen musste sie nicht erst betonen. Vor dem
Wirtshaus zum Lerchenfeld
zog sie ihren matten, kirschroten Lippenstift nach. Eine weitere Verbesserung nach dem Krieg: Geschminkte Mädchen waren nicht automatisch
verrufen
, sondern lediglich
modern
. Ein Nachteil von vielen – Magda hatte wochenlang auf den Lippenstift sparen müssen.
Sie betrat eine holzvertäfelte Wirtsstube. Ein großer heller Gastraum mit acht Tischen war bis auf zwei Besucher leer. Den Gästen sah man ihre Stammkundschaft an. Gegenüber der Eingangstür zog sich eine Budel nach hinten zur Küchentür. An der Längsseite bot eine Fensterreihe Blick auf einen begrünten Gastgarten. Franz Cerny hörte sofort auf, Gläser zu polieren. Er trug eine Arbeitsschürze über seinem weißen Hemd und schaute Magda eindringlich an, als wollte er mit seinen komischen Knopfaugen ihren Seelengrund ertasten. Dann lächelte er. Anscheinend gefiel ihm, was er dort
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