Die wilde Gärtnerin - Roman
mantragleich wiederholt, ist längst klar: Sie ist ein äußerst ungeduldiger Mensch.
Am Nachmittag: Schichte Äste von ausgelichtetem Apfel- und Kirschbaum in die ausgehobene Grube neben dem Kompost. Mähe ein Viertel der Blumenwiese mit der Sense. Streue Schnitt über Äste. Dann kommt umgedrehte Grasnarbe darauf. Vergrabe meinen Goldtopf diesmal nicht unter dem Blumenfeld, sondern entleere ihn über der Mitte. Meine humane Erde ist wunderbar trocken und kleinteilig. Beginne zu sinnieren: Wir sind alle die gleichen Scheißer, doch der Meinung, jeder mache besondere Haufen. Am schlimmsten sind die, die den Anschein erwecken wollen, sie würden überhaupt nicht scheißen. Welch gänzlich asoziale, unmenschliche Lebewesen.
14.11.
Wohnung gegenüber weiterhin leerstehend. Wie lange wird das noch so sein? Und wie wird sie sich nach dem Neubezug verändern? Die Räume schauen zu mir herüber (eigentlich schaue ich, aber es kommt mir umgekehrt vor), als würde alles möglich sein:
Eine Familie könnte einziehen. Sie würden ein Zimmer mit Blau, Rosa, Gelb zum Kinderzimmer ausmalen, das andere Zimmer zum Wohn-Schlafraum der Eltern machen. Würde die Familie beim Frühstück-, Mittag- und Abendessen beobachten können. Sähe das Kind krank im Bett liegen oder vor dem Fernseher hocken. Ein Single könnte einziehen. Hometrainer und Fernsehcouch würden ins Wohnzimmer gestellt werden. Hinter dem abgedunkelten Schlafzimmer träfe wechselnder Frauenbesuch ein, der am Tag danach von mir begutachtet würde.
Die Wohnung gegenüber dient mir als unentgeltliche Peep-Show, erlaubt mir grenzenlose Mutmaßungen. Ist das Ausdruck meiner Langeweile oder meiner Begabung, mich in Kleinigkeiten zu verlieren?
Reche Laub unter Obstbäumen zusammen → lasse dünne Laubschicht auf Wiese zurück als wärmende Hülle und zwecks Rascheleffekts beim Drübergehen. Verteile verrotteten Kompost auf abgeerntete Beete. Nur mehr in zwei Beeten ist Wintergemüse, Lollo Rosso und Batavia unter Reisig, der Rest lagert in Vorratskammer. Binde Tannenzweige um Rosensträucher. Schneide Salbei und Thymian ab, binde sie zu Sträußen und hänge sie zum Trocknen ins Klohäuschen. Grabe Kräuterballen aus und setzte sie in Töpfe. Stelle sie zu mir auf das Küchenfenster.
Zu Mittag bringt Toni warmen Apfelstrudel und einen Korb Brennholz aus der Gerätekammer mit. Heizen schon um zwei ein, um es gemütlich zu haben → Nebeneffekt: Aufstockung des Aschevorrats für das Humusklo.
Den Abend verbringt Toni mit ihrer Altengruppe → FKK in Oberlaa. Sie fragt selbstverständlich, ob ich mitkommen will. Weshalb sollte ich mir den Anblick von nackten Alten antun? Toni fragt sicherlich nur aus Freude an bösartigem Spaß, als reine Provokation. Bleibe zuhause und höre Radio, ein Feature über Biodiversität in der Stadt. Bin müde von der Gartenarbeit, gehe früh schlafen.
15.11.
»Sie waren glücklich wie Kinder im Planschbecken.« So Tonis Resümee zum gestrigen Badeausflug. »Mit der Zeit haben sich die jüngeren Badegäste an unseren Anblick gewöhnt. Sie waren sogar erleichtert, alte Menschen zu beobachten. Die haben gespürt, dass auch sie in dreißig, vierzig Jahren so aussehen und dass sie dann froh sein werden, noch baden und ihren Körper im Wasser erleben zu können.«
»Die waren einfach erleichtert, dass deine Alten nicht inkontinent sind. Die Leute ekeln sich doch beim Anblick von Ausscheidungen. Außerdem sind Urin und Kot im Chlorwasser ja wirklich nutzlos.« Muss so etwas sagen, damit Toni nicht gänzlich in ihre Wohlfühlwelt abdriftet. Sie lacht auf meinen bissigen Kommentar und stachelt zurück, ich hätte wohl auch Probleme mit den untrüglichen Zeichen der Menschlichkeit, dem Verfall des Körpers. Weshalb sonst sollte ich ihre Altengruppe derartig meiden?
»Meine Liebe, wie du weißt, konfrontiere ich mich sehr wohl und zwar inständig mit meiner eigenen Sterblichkeit. Täglich verlässt mich ein Teil meines Körpers in Form von abgestorbenen Zellen und Verdauungsenzymen. Ich brauche deine Alten nicht, um zu wissen, dass mein Kot, wie dereinst mein toter Körper, nur dazu dient, die Erde fruchtbar zu halten.« Toni lächelt mich an. »Du mich auch, Schätzchen«, sagt sie, »irgendwann krieg ich dich schon raus aus deinem Schneckenhaus.« Kann mich nicht zurückhalten und muss erwidern: »Mein Schneckenhaus hat drei Stockwerke, einen großen Garten, bietet alles, was ich zum Leben brauche und steht im 8. Bezirk in der Lerchengasse.«
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