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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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entdeckt hatte.
    »Kommen S’ nur weiter, Fräulein Wegmayer.« Er ließ Geschirrtuch und Glas auf der Budel zurück, streifte seine Schürze ab und dafür sein Sakko über. »Tante Herti!«, schrie er, worauf Tante Herta zur Küchentür hereinkam, als hätte sie dahinter gelauert.
    »Junges Fräulein, ich freu mich, Sie endlich kennenzulernen.« Eine Frau mit beeindruckendem Körperumfang rückte auf Magda zu.
    »Tante, oiso, wir gehen jetzt, baba«, schob Franz Magda vorsorglich zur Eingangstür. Ihm war die Vorstellung unangenehm, Tante Herta könnte seine unlängst fallen gelassenen Bemerkungen über eine hinreißende Eisverkäuferin ausplaudern.
    Die beiden Stammgäste amüsierte die kurze Szene, was sie dazu bewog, gleich noch ein Viertel Weißen zu bestellen. Der wurde leider nicht mehr vom Herrn Franz serviert, sondern von der reschen Frau Herta, bei der es nur halb so gut schmeckte.
    Franz Cerny schlug vor, in die Praterhauptallee zu gehen. In puncto Originalität war Magda nicht sonderlich hingerissen, andererseits war
Prater im Frühling
immer schön. Außerdem lag das Hauptaugenmerk dieses Spaziergangs mehr auf ungestörtem Beisammensein und weniger auf außergewöhnlicher landschaftlicher Beschaffenheit.
    Nachdem beide am Praterstern aus der Straßenbahn gestiegen waren, bückte sich Magda zu ihren ausgetretenen, aber aufpolierten Schuhen und band die Schnürsenkel fester. Von seitlich unten betrachtete sie Franz Cerny. Aus diesem schrägen Winkel fiel ihr plötzlich ein, an wen er sie erinnerte. 1919 wurde die zehnjährige, mangelernährte Magda im Rahmen der Kinderlandverschickung ins besser versorgte Ausland gebracht. Schon Wochen vor ihrer Abreise war sie davon überzeugt, ihre Mutter und ihre Geschwister nie mehr wiederzusehen. Sie würde entweder bereits auf der Reise nach Holland verloren gehen, oder, falls sie tatsächlich dort ankommen sollte, von niemandem abgeholt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ein arbeitsunfähiges, aber umso hungrigeres Mädchen aufnahm, war schwindend gering. Viel glaubhafter war die Annahme, dass ihre Mutter sie
loswerden
wollte, weil leichter mit Max und ohne Magda durchzukommen war. Am Westbahnhof wurde ihr ein Schild aus Karton umgehängt, darauf standen ihr Name, Geburtsdatum und Ziel: Utrecht. Sie setzte sich auf die Holzbank des Zugabteils und winkte ihrer Mutter und Max schwach zu. Die dürfen bleiben, ich muss weg, dachte sie. Gleich darauf lagen der Bahnsteig und ihr bisheriges Leben hinter ihr. Mit einer Mischung aus Verlassenheit und Angst über den baldigen sicheren Tod betrachtete sie die Kinder, die dicht gedrängt mit ihr auf den Holzbänken saßen. Alle mit Namensschild vor der Brust. Der Zug schüttelte sie kräftig durch. Bald schliefen die ersten ein. Dann auch Magda. »Magda, bei der nächsten Station steigst du aus«, teilte ihr die Begleiterin nach einigen Tagen Fahrt und mehreren Zwischenstopps mit. »Deine Gasteltern heißen van den Braebeck«, schärfte sie ihr ein. Eltern, dachte Magda, ich hab keine Eltern. Noch nie welche gehabt. Sie hatte eine Mutter, aber die lebte lieber mit Max, dem Meister-Schleichhändler, als mit ihr zusammen. Magda rutschte von der Holzbank, holte ihren Koffer unter dem Sitz hervor und verließ grußlos die beiden anderen Kinder, die noch im Abteil verblieben waren. Der Zug hielt. Magda stand auf einem Bahnhof in einem fremden Land. Keinen Schritt würde sie sich von hier wegbewegen. Tot umfallen würde sie stattdessen. Sie nahm alles zusammen, was an Kraft in ihren Knochen aufzufinden war, und streckte ihren Rücken durch. Magdas O-Beine blieben gebogen. Doch dann standen zwei Erwachsene vor ihr, die aussahen wie Menschen auf Werbeplakaten. Die Frau trug einen wunderschönen Hut, war geschminkt, hatte lockige Haare und einen warmen, langen Mantel. Ohne Löcher. Neben ihr ein Mann mit freundlichen Augen, der einen Mantel mit Pelzkragen und einen Hut trug, den er sich tief in die Stirn gezogen hatte. Beide lächelten sie an. Sie sagten irgendetwas. Magda verstand nicht. Die Frau streckte Magda ihre Hand entgegen. Magda griff danach. Was hatte sie schon zu verlieren? Der Mann nahm ihren kleinen Koffer. Zu dritt verließen sie das Bahnhofsgebäude und gingen auf ein Automobil zu. Der Mann öffnete ihr die Wagentür. Sie war noch nie in einem Auto gesessen. Magda stieg ein, stand kurz aufrecht im Fond des Wagens, dann schwang sie sich auf die lederne Sitzfläche der Rückbank. Magda presste ihren Rücken nach

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