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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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starben oder so etwas; es war einfach eine Tatsache. Das ist alles
überhaupt nicht interessant, es sind einfach nur Tatsachen. Aber das sind die
Momente, in denen Tulpen redet; wenn es um Tatsachen geht. Und die sind selten.
    Um ihrem
Beispiel zu folgen, habe ich mit einer Tatsache angefangen: Mein
Urogenitaltrakt ist ein schmaler, gewundener Gang.
    Tatsachen sind
wahr. Tulpen ist ein sehr aufrichtiger Mensch. Ich bin nicht so aufrichtig. Im
Gegenteil, ich kann ganz gut lügen. Leute, die mich wirklich kennen, glauben
mir mit der Zeit immer weniger. Sie neigen zu der Annahme, ich würde immerzu
lügen. Aber im Moment sage ich die Wahrheit. Bitte berücksichtigen Sie: Sie
kennen mich nicht.
    Wenn ich so
rede, lupft Tulpen mit ihrem Handrücken eine Brust.
    Was zum Teufel
haben wir gemeinsam? Ich werde bei den [17]  Tatsachen bleiben. Namen sind Tatsachen. Tulpen und ich haben
gemeinsam, daß unsere Namen nachlässig ausgesucht wurden. Ihrer beruht auf
einem Irrtum, aber es stört sie nicht. Ich habe mehrere, und genau wie bei ihr
sind sie alle mehr oder weniger zufällig. Meine Eltern haben mir den Namen Fred
gegeben, und es schien sie nie gestört zu haben, daß fast keiner mich je so
nannte. Biggie nannte mich Bogus, den Schwindler. Das war der Spitzname, den
mir mein ältester, teuerster Freund Couth gegeben hat, als er mich das erste
Mal beim Schwindeln erwischte. Dieser Name blieb an mir haften. Die meisten
meiner alten Freunde nannten mich so, und Biggie hat mich damals auch schon
gekannt. Merrill Overturf, der immer noch verschollen ist, hat mich Boggle
genannt. Wie bei jedem Namen, so gab es auch hierfür ein paar vage Gründe.
Ralph Packer hat mir den Namen Thump-Thump gegeben, und den kann ich nicht
ausstehen. Es ist der Name des Hasen in Walt Disneys Film ›Bambi‹. Und Tulpen
nennt mich bei meinem Nachnamen, Trumper. Ich weiß auch, warum: Sie kann
Französisch. Und es ist so nah, wie man überhaupt mit einem Namen an eine
Tatsache herankommen kann. Nachnamen ändern sich bei Männern selten. Also bin
ich meistens Fred »Bogus« Trumper. Das ist eine Tatsache.
    Tatsachen
kommen mir nur langsam. Damit ich den Faden nicht verliere, wiederhole ich sie.
Jetzt gibt es schon zwei. Nummer eins: Mein Urogenitaltrakt ist ein schmaler,
gewundener Gang. Nummer zwei: Tulpen und ich haben gemeinsam, daß unsere Namen
nachlässig ausgesucht wurden; und möglicherweise nicht viel mehr.
    Moment! Da
kommt mir eine dritte Tatsache in den Sinn. Nummer drei: Ich glaube an Rituale!
Ich meine, es hat in meinem Leben immer so etwas wie die Wassermethode gegeben,
es hat immer Rituale gegeben. Allerdings hat keines dieser Rituale lange
angehalten (ich habe Vigneron gesagt, daß ich jetzt ein neues Leben beginnen
werde, daß ich mich ändern will, und das stimmt auch), [18]  aber ich bin immer von einem Ritual zum
nächsten übergegangen. Im Moment ist es die Wassermethode. Die Erörterung der
Hintergründe meiner Rituale dauert eine Weile, aber die Wassermethode dürfte
klar sein. Außerdem teilen Tulpen und ich gewissermaßen ein allmorgendliches
Ritual. Obwohl ich aufgrund der Wassermethode morgens etwas früher aufstehe –
und nachts auch ein paarmal –, haben Tulpen und ich diese Gewohnheit
beibehalten. Ich stehe auf, gehe pinkeln, putze mir die Zähne und trinke jede
Menge Wasser. Sie stellt die Kaffeemaschine an und legt einen Stapel Platten
auf. Wir treffen uns im Bett wieder und essen Joghurt. Immer Joghurt. Sie hat
ein rotes Schälchen und ich ein blaues, aber wenn wir verschiedene Geschmacksrichtungen
haben, tauschen wir die Schälchen öfter aus. Ein flexibles Ritual ist immer das
beste, und Joghurt ist ein vernünftiges, gesundes Nahrungsmittel und morgens
sehr mundfreundlich. Wir reden nicht. Das ist bei Tulpen nichts Neues, aber
selbst ich rede nicht. Wir hören uns die Platten an und essen unseren Joghurt.
Ich kenne Tulpen nicht sehr gut, aber offenbar hat sie es immer so gemacht. Ich
habe noch einen Zusatz zu ihrem Ritual eingeführt: Wenn der Joghurt alle ist,
lieben wir uns in aller Ausführlichkeit. Dann ist der Kaffee durch, und wir
trinken ihn. Wir reden nicht, solange der Plattenspieler läuft. Die einzige
Variation, die die Wassermethode mit sich bringt, ist eher nebensächlich, sie
liegt irgendwo nach dem Lieben und während des Kaffees. Ich stehe auf, gehe
pinkeln und trinke jede Menge Wasser.
    Ich wohne noch
nicht sehr lange bei Tulpen, aber es kommt mir vor, als würde ich sie auch
nicht besser

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