Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
für Bücher
liest du denn am liebsten?« fragte er Colm. Sobald er das gesagt hatte, dachte
er, das darf doch nicht wahr sein, ich kann mit meinem Sohn nur noch Smalltalk
machen.
»Och, Moby Dick mag
ich immer noch«, sagte Colm. Versuchte er nur, nett zu sein? (»Sei nett zu
deinem Vater.« Bogus stellte sich vor, wie Couth das zu Colm gesagt haben
könnte, kurz bevor sie ankamen.) »Ich meine, ich mag die Geschichte«, fügte
Colm hinzu. »Aber es ist eben nur eine Geschichte.«
Trumper stand
neben seinem Sohn auf der Mole und kämpfte gegen die plötzlich aufsteigenden
Tränen an.
Bald würde das
große Haus voller Fleisch dort droben zum Leben erwachen, fast wie eine
einzige, riesige Person – würde sich waschen, essen, versuchen, hilfreich und
freundlich zu sein. In diesem angenehmen Durcheinander würde sein geschärfter
Blick fürs Detail verlorengehen, doch hier draußen auf der Mole fühlte sich
Trumper, der zusah, wie die Sonne ihren Kampf gegen den Nebel verlor, frisch
und munter. Mittlerweile war der Nebel schon bis zum Eingang der Bucht
vorgedrungen und würde jetzt gleich auf sie zugerollt kommen; er war so dicht,
daß man nicht sehen konnte, was dahinter war. Doch Trumper, der im Moment alles
in klarem Licht sah, hatte das Gefühl, er könne durch sein Gehirn
hindurchschauen.
[486] Bogus
und Colm hörten eine Toilettenspülung rauschen, und dann brüllte Ralph im Haus:
»Oh, dieser Scheißköter!«
Oben wurde ein
Fenster geöffnet; Biggie erschien darin, mit Anna im Arm. »Guten Morgen!« rief
sie zu den beiden herunter.
»Einen schönen
Throgsgafen Dag!« schrie Bogus, und Colm wiederholte den Ruf.
Ein zweites
Fenster ging auf, und Matje steckte den Kopf heraus wie ein Wellensittich aus
dem Käfig. Unten im Billardzimmer öffnete Tulpen die Terrassentür und hielt
Merrill hoch in die Luft. Couth erschien an Biggies Fenster. Alle wollten sie
noch einmal kurz die Morgenfrische genießen, ehe der Nebel hereinrollte.
Die Küchentür
flog auf, und Gob, Loom und Ralph stürzten heraus. »Diese Scheißköter haben die
Waschküche vollgekotzt!«
»Das war dein Hund,
Ralph!« rief Couth vom Fenster herunter. »Meiner tut so was nicht!«
»Trumper war es!« schrie Tulpen aus dem
Billardzimmer. »Er war die ganze Nacht auf! Er hatte irgendwas vor! Er hat in
die Waschküche gekotzt!« Bogus beteuerte seine Unschuld, doch alle brüllten, er
sei der Missetäter. Colm schien von dieser seltsamen Vorstellung, die die
Erwachsenen da gaben, begeistert. Die Hunde tollten draußen herum und rutschten
auf dem Eis aus. Bogus nahm seinen Sohn bei der Hand, und vorsichtig gingen sie
den vereisten Weg zum Haus hinauf.
In der Küche
war Stoßverkehr. Draußen vollführten die Hunde wilde Kämpfe, und Colm blies, um
das Chaos zu vervollständigen, auf einer Trillerpfeife. Ralph verkündete, daß
Matjes Weintraube gewachsen sei. Die Frauen verlangten, daß alle Erwachsenen
fasten sollten, anstatt zu frühstücken; sie waren schon mitten in den
Vorbereitungen für den mittäglichen Festschmaus. Biggie und Tulpen stellten je
eine freiliegende Brust zur Schau, an der jeweils ein Baby saugte. Matje
bereitete Colm das Frühstück und schimpfte mit Ralph, weil er den Dreck der
Hunde in der Waschküche nicht weggeputzt hatte.
[487] Ralph,
Couth und Bogus lümmelten herum, an ihnen hingen noch die typischen, leicht
abstoßenden morgendlichen Gerüche; sie waren alle drei ein wenig kratzbürstig.
Matje, Biggie und Tulpen liefen ziemlich schlampig herum, waren noch nicht
richtig angezogen: Bademantel und weiche, vom Schlaf verknuddelte T-Shirts –
eine warme, kuschelige Sinnlichkeit umgab sie.
Bogus fragte
sich, was er sich jetzt hätte wünschen können. Doch in der Küche war es viel zu
hektisch, als daß er in Ruhe hätte nachdenken können; überall standen Körper
herum. Was machte es schon, wenn die Hundekotze immer noch unbeachtet in der
Waschküche lauerte! Unter Freunden kann man tapfer sein.
Bogus Trumper
gedachte seiner Narben, der Harpunen und der anderen Dinge und lächelte
bedächtig, als er all das gute Fleisch um sich herum sah.
Foto: © Jane Sobel Klonsky
JOHN IRVING , 1942 in Exeter, New Hampshire, geboren, wusste als
19-Jähriger genau, was er wollte: Ringen und Romane schreiben. Bis zum
Durchbruch von Garp trainierte er an amerikanischen
Universitäten Ringermannschaften und zukünftige Schriftsteller. Im Jahre 2000 erhielt John Irving den Oscar
für die beste Drehbuchadaption für den
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