Die Wilden Hühner
Häusern auf der linken Seite. Die Häuser waren weder groß noch schön, aber alle hatten riesige Gärten.
Nur ein einziges Mal war Frieda bisher hier gewesen. Das hatte gereicht. Oma Slättberg mochte es überhaupt nicht, wenn Sprotte Freunde mitbrachte. »Ich mag keine Fremden in meinem Haus«, sagte sie. Und Fremde - das waren alle, mit Ausnahme von Sprotte und ihrer Mutter. Oma Slättberg war schon sehr merkwürdig. Dauernd vergaß sie irgendwas, und rumkommandieren tat sie auch in einem fort. Seit Frieda sie kennen gelernt hatte, wusste sie, warum Sprotte oft so traurig war. Und so biestig zu andern. Manchmal sogar zu ihrer besten Freundin.
Wenn Sprottes Mutter tagsüber Taxi fuhr, aß Sprotte bei ihrer Oma, und wenn ihre Mutter Nachtschicht hatte, schlief sie auch dort. Viel Zeit für Hausaufgaben oder Freunde blieb da nicht. Nach dem Essen musste sie immer stundenlang Unkraut zupfen oder den Hühnerstall ausmisten. Denn Oma Slättberg war der Meinung, dass Kinder sich ihr Essen verdienen müssen. »Im Schweiße ihres Angesichts«, sagte sie immer. »Jawohl, im Schweiße ihres Angesichts.«
Sprotte wusste genau Bescheid über Gemüsebeete und Hühner - und fiese Omas.
Oma Slättbergs Haus war das letzte in der Reihe - ein düsteres Klinkerhaus mit kleinen Fenstern, die wie zugekniffene Augen aussahen. In dem großen Garten gab es kein Fleckchen Rasen oder eine Terrasse, kaum Blumen, aber Unmengen von Beerensträuchern und Obstbäumen - und eine lange Reihe sorgsam sauber gezupfter Gemüsebeete. Dahinter standen ein alter Schuppen und ein grün gestrichener Hühnerstall, an den sich ein großer Auslauf mit einem Maschendrahtzaun und einem grünen Holzgatter anschloss.
»Oh, da sind die Hühner!«, rief Frieda, als sie vor dem Gartentor standen. »Sind das mehr als letztes Mal?«
Sprotte schüttelte den Kopf. »Nee, sogar eins weniger. Letzte Woche hat Oma noch geschlachtet, um ihrer Schwester eins mitzubringen.« Sprottes heftige Proteste und Tränen hatten Oma Slättberg nicht davon abhalten können. Aber wenigstens hatte sie die Finger von Sprottes Lieblingshenne gelassen.
»Au, verdammt!«, rief Sprotte plötzlich. Hastig stieß sie das Gartentor auf und rannte auf die Gemüsebeete zu. »Weg da, weg da!«, brüllte sie.
Zwischen den Kohlköpfen richtete sich erschrocken eine dicke braune Henne auf. Ein Kohlblatt hing ihr noch aus dem Schnabel. Als sie die wütende Sprotte auf sich zustürmen sah, rannte sie laut gackernd auf den Auslauf zu.
»Na warte!«, rief Sprotte und versuchte sie zu packen. Die Henne gluckste entsetzt und rannte hektisch vor dem Maschendraht hin und her. Zweimal grapschte Sprotte nach ihr, zweimal flogen die Federn, aber jedes Mal entwischte das Huhn ihr. Dann duckte es sich plötzlich und schlüpfte unter dem Gatter hindurch in den Verschlag.
Frieda erstickte fast an ihrem eigenen Lachen.
»Kicher nicht so blöd!« Besorgt lief Sprotte zum Kohlbeet. Von zwei Köpfen standen nur noch die abgefressenen Strünke da. Wütend riss Sprotte sie aus und warf sie den Hühnern in den Auslauf. Frieda schob kichernd den Kinderwagen vors Haus.
»Das ist überhaupt nicht komisch«, rief Sprotte. »Wenn meine Oma das sieht, bekomm ich einen Höllenärger.«
»Ach, so schlimm wird's schon nicht werden«, sagte Frieda.
»Ups, jetzt hab ich einen Schluckauf.«
»Immer wieder buddeln die Viecher sich unterm Gatter durch!«, schimpfte Sprotte verzweifelt. »Ich mach das Loch zu und am nächsten Tag haben sie sich schon 'n neues gebuddelt. Aber erklär das mal meiner Oma!«
»Ach, komm, reg dich ab.« Frieda legte Sprotte beruhigend den Arm um die Schulter. »Wenn sie so vergesslich ist, wie du immer sagst, weiß sie längst nicht mehr, wie viel Kohlköpfe da standen.« Sie lugte in den Kinderwagen. »Luki schläft wie ein Stein. Ich lass ihn am besten hier draußen stehen.«
Sprotte sah immer noch ziemlich unglücklich aus. »Solche Sachen vergisst meine Oma nie«, sagte sie. »Da würde sie eher ihren Namen vergessen. Die weiß sogar, wie viel rostige Nägel im Schuppen liegen.« Mit grimmigem Gesicht zog Sprotte ihre Hausschlüssel aus der Tasche. An Oma Slättbergs klappriger Tür glänzten drei Sicherheitsschlösser. Erstaunt schüttelte Frieda den Kopf.
»Hat deine Oma einen Schatz da drin?«
»Nicht, dass ich wüsste«, brummte Sprotte, während sie entnervt mit den Schlüsseln rumfummelte. »Aber meine Oma sieht hinter jedem Kohlkopf 'nen Einbrecher sitzen.
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