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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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umzudrehen. Ritt hatte nicht auf ihn gesetzt, aber als jetzt das Geräusch seiner Schritte ferner wurde, spürte er eine Hoffnung schwinden.
    Dann griff er unter die Pritsche, suchte und fand die Zigarette. Immerhin war ihm von der Begegnung etwas geblieben.
    Er zündete sie an, nahm einen tiefen, süchtigen, befriedigenden Zug, zog den Rauch fest in die Lunge, hielt ihn ein paar Sekunden auf, ließ dann einen kleinen Teil durch den offenen Mund, den Rest ganz langsam durch die Nase ziehen; sein ganzer Körper kostete wohlig das Nikotin.
    Stiefel wuchteten über den Gang.
    Alles war Ritt gleichgültig, außer dem Gift, nach dem jede Pore, jeder Nerv gierten.
    Er hörte, daß die Tür aufgesperrt wurde, und tat noch einen raschen Zug, nahm mechanisch Haltung an und sah betroffen, daß der Kriegsgerichtsrat zurückgekommen war.
    »Sie können sich also doch noch bücken, Ritt?« sagte der Mann und genoß, wie sich Martins Gesicht mit Scham und Zorn beschlug.

V
    Wenigstens der Unterleib ist unpolitisch, dachte der US-Captain Felix Lessing, als er in dem Aachener Vorort auf ein zerschossenes Haus zuging, in dem die Frau auf ihn wartete. Er war dreißig, groß und schlank. Er trug ein Gewehr über der Schulter, dessen Lauf auf den Boden zeigte, und er ging, als schwanke er.
    Über leere zerstörte Straßen fegte ein kalter Wind. Die Zivilbevölkerung mußte nachts in ihren Ruinen bleiben. Die alliierten Truppen hatten den Atlantikwall überrannt, Frankreich befreit und Hitlers verzweifelte Ardennenoffensive ins Leere laufen lassen; heute, am 7. März 1945, stießen ihre Voraustruppen gegen den Rhein vor.
    Der Captain blieb stehen und suchte den Eingang. Er holte die Flasche aus der Tasche, nahm tiefe Schlucke, als müsse er sich Mut antrinken. Eigentlich wollte er umkehren, aber er sehnte sich nach einer langen Nacht mit einem weißen Körper in einem weichen Bett. Verdammt, dachte Felix Lessing, schließlich bin ich Soldat – ich brauche eine Frau, und wenn es keine andere gibt …
    Er fand den Eingang und klingelte.
    Die junge Frau öffnete sofort; sie mußte hinter der Tür auf ihn gewartet haben.
    »Da bin ich«, sagte der Captain.
    Sie legte den Finger auf den Mund, ihre Blicke glitten zu den Nachbarwohnungen hin, als sie den Besucher in die Diele zog. Unschlüssig stand er da und sah sich um. Sie nahm ihm den Trenchcoat ab. Sie hatte sich für ihn zurechtgemacht, aber Lessing übersah es. Er wollte ihr Schlafzimmer so kurz wie nötig und so sachlich wie möglich hinter sich bringen.
    »Hier«, sagte die junge Frau und wies auf die Tür zu ihrem Zimmer.
    »Hübsch«, erwiderte er, ohne sich umzuschauen.
    »Die Nachbarn?« fragte er.
    »Nein – das Kind.«
    »Ach so …« Er holte die Flasche aus der Tasche. Während er sie der Frau anbot, die ablehnte, sah er das Bild des Feldgrauen an der Wand.
    »Ihr Mann?«
    Sie nickte.
    »Gefallen?«
    »Nein«, antwortete sie, »im Osten …« Ihre Stimme schien zu besagen, daß das keinen Unterschied mache.
    »Ach so«, erwiderte Felix und trank wieder aus der Flasche.
    »Ich hole Ihnen ein Glas«, sagte die junge Frau. Sie betrachtete ihn von der Seite, stellte wie schon heute morgen auf der Straße fest, daß er ein hübsches Gesicht mit einer breiten, ausladenden Stirn hatte, das hart und glatt wirkte wie ein Stein in der Brandung.
    »Wieso sprechen Sie so gut deutsch?« fragte sie.
    »Gelernt«, brummte der Captain, »an der Universität.«
    »Erstaunlich«, entgegnete die Frau, »Sie reden wie ein Deutscher …« Sie merkte, daß sie etwas Falsches gesagt haben mußte. Seine Augen wurden klein, sein Mund zornig. Seine Hand hielt die Flasche wie eine Keule, mit der er gleich zuschlagen wollte. »Entschuldigung«, sagte sie erschrocken.
    Ohne Einleitung riß er sie an sich, beugte sich über sie. Ihre Schatten an der Wand wurden unförmig. Der Captain hob die Frau, trug sie zur Couchecke, setzte sie ab, begann sie auszuziehen. Seine Hände waren ungeschickt. Er konnte die Schließe am Rücken nicht öffnen, riß sie ab, halblaut vor sich hinfluchend.
    »Kann hier jemand kommen?« fragte er.
    »Kein Mensch«, erwiderte sie, stand auf, ging an die Wohnungstür, um sie von innen zu verriegeln. Sie kam zurück und sah wieder, wie hektisch er trank, lächelte, ging auf ihn zu, nahm ihm die Flasche ab, drückte ihn zurück in die Kissen, suchte seine Lippen.
    Ihre wilde Zärtlichkeit machte ihm Mut: Felix brauchte ihn für den Haß, mit dem er über fünftausend Kilometer

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