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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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würde.
    Es gab viele Dinge aus dem braunen Jahrzwölft, die man ihm vorhalten konnte, aber hier fühlte er sich unschuldig. Bei diesem Verbrechen hatte er in seinem Büro gesessen und betroffen verfolgt, wie zwei alliierte Soldaten vom Werkpöbel gelyncht wurden. Er war entsetzt gewesen, wenn er öffentlich auch ganz anders gesprochen hatte.
    Am Tag der Verhandlung trugen die MP-Soldaten Silberhelme und weiße Koppel. Der Ernst in ihren gesunden Gesichtern war aufgesetzt wie eine Brille; wenn niemand zu diesen martialisch kostümierten Burschen hinsah, gähnten sie, denn dieser Wartesaal in die Ewigkeit langweilte sie längst.
    Friedrich Wilhelm Ritt betrat als vierter von links die Verhandlungsbaracke; er hatte die Nummer acht und saß unter Bauern, Arbeitern und kleinen Bürgern, die man alle des gleichen Verbrechens anklagte, verübt an verschiedenen Orten: der Ermordung alliierter Flieger.
    Sein Blick tastete sich vorsichtig durch den Raum, streifte ein paar Reporter. Er bedauerte sie fast, weil sie wegen Papiermangels nicht viel schreiben konnten und, was ihn betraf, vergeblich erschienen waren. Sein Blick blieb auf der Holzbalustrade des Angeklagtenpferches hängen. Er las eingeritzte Namen, sah eine zotige Zeichnung, unter der mit dem Messer eingeschnitzt war: Heil Hitler.
    Er erhob sich beflissen, als er aufgerufen wurde. Zunächst erschienen drei frühere Betriebsfunktionäre, die mit verschiedenen Worten das gleiche aussagten: daß Friedrich Wilhelm Ritt, Inhaber der gleichnamigen Werke, vormals Lessing & Kahn, die alleinige Schuld am Tod der beiden Amerikaner trage.
    Der Angeklagte begriff es nicht. Dann soufflierte ihm der Zorn. Irgendein Drahtzieher mußte im Hintergrund eine Intrige geknüpft haben.
    Dann war Ritt erleichtert, als er Silbermann sah. Der frühere Mitkämpfer nannte seine Personalien, gab als Beruf Kaufmann an und sagte aus, am Tag der Untat im Auftrag des Gauleiters den Betriebsführer Friedrich Wilhelm Ritt auf seinem Werksgelände besucht zu haben.
    Silbermann nahm die stramme Haltung ein, die aus der Mode war. Dann sprach er klar und ungeheuerlich, denn er bestätigte, oft über die Aussagen der ersten drei Belastungszeugen hinausgehend, die Darstellung des Anklägers.
    Der Angeklagte stand da wie ein vom Blitz getroffener Baum. Seine vom Körper weit weggestreckten Arme sahen aus wie eben abgesplitterte Äste.
    »Er lügt!« schrie er in den Saal. »Es ist kein Wort wahr! Er lügt, um seinen Kopf aus der …«
    Zunächst wurde der Angeklagte Ritt verwarnt.
    Sein Verteidiger redete beruhigend auf ihn ein, obwohl auch er überrascht war. Da der Zeuge erst heute von der Anklage benannt worden war, kam seine Aussage auch für den Rechtsanwalt überraschend.
    »Ruhig bleiben«, zischte er seinem Mandanten zu.
    Doch Friedrich Wilhelm Ritt riß sich los, hastete nach vorn, an den Richtertisch heran. Einer der bulligen MPs wollte ihn zurückreißen, aber der Richter mit den weißen Haaren in der Mitte des Podiums winkte dem Mann ab.
    »Herr Oberst«, beteuerte Ritt weinerlich, mit einer Stimme, die sich wie eine Schraube in den Windungen nach oben drehte, »das ist eine Lüge, eine Verschwörung! Ich bin unschuldig, un-schul-dig!«
    Er redete gegen eine Wand, von der nur sein eigenes Echo zurückkam, er ging auf Silbermann los, mit beschwörenden, bestechenden Worten:
    »Du bist verrückt – überleg dir das, Egon, es kann doch nur ein Irrtum sein! Bleib bei der Wahrheit! Laß dich doch nicht verrückt machen! Du weißt doch – du bist doch erst am Abend gekommen, damals – und ich war in meinem Büro – ich bin überhaupt erst auf das Außengelände gekommen, als schon alles vorbei und vorüber war –« Ritt betrachtete den Kumpan ängstlich, flehend. »Sag doch etwas! Ich bin …«
    Er griff Silbermann am Arm, zog ihn zu sich hin. »Un-schul-dig!« Die Panik skandierte das Wort zu Silben.
    Jetzt erfaßte der Angeklagte den ganzen Hinterhalt. Gleichzeitig verlor er die letzte Beherrschung.
    »Wenn du weiterlügst, mach ich dich fertig!« schrie er den früheren Hoheitsträger an, dessen Lippen starr und hart aufeinanderlagen.
    Der alte Mitkämpfer war auf die Szene vorbereitet, deshalb machte er vor den Richtern, die Recht vom Fließband zu sprechen hatten, die bessere Figur, trotz seiner unsteten Augen, die wie Insekten waren, bereit, beim ersten Widerstand aufzufliegen: gejagte Insekten, Mücken, die sich auf alles setzen müssen, Stechmücken.
    »Ich bring die Sache mit den

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