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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Panzer nach links ab; sie hatten jetzt erfaßt, daß die Stellung im Nachbarabschnitt geräumt war und daß sie hier ohne Widerstand die Hauptkampflinie passieren konnten. Vielleicht waren auch sie perfekte Soldaten, die Blut sparten, oder sie fürchteten, daß diese lächerliche einsame Pak nicht lauter Blindgänger hatte. Zwei T 34 rollten genau auf die Pak zu, die etwas links von dem Graben stand, in dem der Rest des Bataillons auf den Heldentod wartete.
    Einen T 34 konnte der achtzehnjährige Richtkanonier noch erledigen, dann zog er nur noch Nieten. Er schrie, fluchte, schoß und zitterte, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Er starrte in den Schlund der Kanonen, die gleich aufblitzen mußten, zielte und wußte, daß es nicht helfen würde.
    Fünfzig Meter noch.
    Keine Deckung mehr. Flucht sinnlos.
    Das Ungetüm drehte auf einer Kette. Der russische Fahrer schaltete herunter. Der Motor heulte im ersten Gang schrill auf. Der Stahlkasten verschmähte es, die Gegner an der Pak abzuschießen.
    Er wollte sie in den Boden walzen.
    Die Männer lagen wie gelähmt im toten Winkel, und aus dieser Entfernung jagte Traube die siebzehnte und letzte Granate aus dem Lauf, aus solcher Nähe, daß ihm die surrenden Splitter um den Kopf flogen.
    Acht Meter.
    Der Richtkanonier hörte, wie der Fahrer Vollgas gab.
    Er sah die Ketten, nichts als Ketten, und die widerliche Bordkanone; er erfaßte, daß er seine Mutter nicht mehr wiedersehen würde. Er schrie wie die Russen in den brennenden Panzern, wenn sie zu schwarzen Klumpen geschmort wurden, und er hörte seine eigenen Knochen knacken, sah sein eigenes Blut in den Dreck rinnen, spürte, wie sein Herz stehenblieb, starrte die Infanteristen hinter dem T 34 noch an, sah Raupen, die sich weiterdrehten, ein Fließband der Vernichtung, das zwei, drei Sekunden später sein Leben zermalmen würde.
    So sah ihn Ritt, der seitlich der Pak lag und schon mit allem Schluß gemacht hatte, sah den Panzer, sah, was in Sekunden geschehen würde, sah diese jungen Burschen zerstampft, sah ihre Körper von Gliedketten des T 34 erfaßt, hatte die Haftladung in der Hand, sprang aus dem Graben, hetzte mit zwei, drei Schritten an den Panzer heran, warf ihm den Tod auf die Stahlplatten und wunderte sich, daß er noch immer lebte.
    Jetzt wurde er vom Panzer aus beschossen, kam bis fünf Meter an sein Deckungsloch, hörte, wie die Haftladung explodierte, wie der Stahlkasten zerplatzte, und fiel, sich überschlagend, in den Graben, wie ein Betrunkener, den der Wirt mit einem Tritt vor die Tür setzt.
    Plötzlich war es still.
    Die Luft stank nach Pulver, nach Eisen, nach Schwefel, nach Blut, und trotzdem herrschte Ruhe wie auf einem Friedhof.
    Es war das letzte Wunder des jungen Hauptmanns Ritt, daß bis auf vier Gefallene und drei Verwundete das Bataillon noch einmal davonkam; für die Stunde, für den Tag. Die Russen hatten es nicht nötig, diese letzte, stumpfe Igelstellung aufzurollen.
    Ein Kompanieführer wollte melden, Ritt winkte ab und befahl, die formlose Beerdigung der vier Toten ›mit Beeilung‹ vorzunehmen.
    »Stilles Vaterunser«, sagte er, setzte sich auf den Grabenrand und rauchte eine Zigarette. Er hatte nie eine Ansprache gehalten. Worte wie Durchhalten, Heldentod, Endsieg waren ihm fremd, und wenn sie einer benutzte, griff er nach seiner Zigarette und kniff die Lippen zu dieser seltsamen Ritt-Grimasse, die zu sagen schien: Was geht's mich an?
    Er sah zu, wie sie die Toten eingruben – 124 Lebende auf Abruf. Ritt hatte das alles satt, das Graben, Schießen, Befehlen, Sterben, die genormten Beileidsbriefe, die Latrinenparolen, die Fußlappen und den Kunsthonig. Er hatte es satt, sich für eine Stunde Leben weiterhin wie ein Wurm in die Erde zu verkriechen; er haßte den Rückzug, den Vormarsch, den Landsermief, diesen Stallgeruch der Kameradschaft. Er hatte es satt, von seinen Männern angestarrt zu werden wie ein Ausnahmemensch, der Wunder wirkt, obwohl er nur den Tod zu bieten wie zu erwarten hatte. Ihre Augen hatte er satt, mit denen sie zu ihm aufsahen, Kälber zu einem Lohnschlächter des Krieges, und er sagte sich in diesen Minuten – da nur das Knirschen der Spaten zu hören war, die wiederum ein Grab für vier Gefallene aushoben –, daß er auch den Tod in der Masse satt hatte: Wenn es nötig sei, dann wollte er wenigstens seinen eigenen haben.
    Während diese Gedanken Ritt in einen kalten, lodernden Zorn hetzten, errechnete er – mit der Genauigkeit des

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