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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Foster, sein Butler, kerzengerade aufgerichtet, mit geschlossenen Knien, die gefalteten Hände auf den Spazierstock gelegt. Als er bemerkte, dass Joe ihn ansah, nahm er den Hut ab und sagte: »Guten Tag, Sir.«
    Joe beugte sich noch weiter vor und sah seine sonst so sachliche Sekretärin wie ein aufgescheuchtes Huhn um jemanden herumflattern. Ihre Wangen waren gerötet, sie zupfte an ihrem Halstuch und kicherte wie ein Schulmädchen. Dieser Jemand war sein Schwager. Seamie blickte auf und winkte ihm lächelnd zu.
    »Ich wünschte, Mum hätte mich zu der Demonstration gehen lassen, wie ich es wollte. Aber sie meinte, ich dürfe mich unter keinen Umständen aus der Schule wegrühren«, sagte Katie.
    »Nur allzu richtig«, antwortete Joe. »Das ist bereits die dritte Schule, in die wir dich dieses Jahr reingebracht haben. Wenn du aus der wieder rausfliegst, finden wir so leicht keine andere mehr, die dich aufnimmt.«
    »Ach komm, Dad!«, sagte Katie ungeduldig, seine Warnung ignorierend.
    »Wo wurden sie hingebracht?«, fragte er.
    »Nach Holloway«, antwortete Katie. »Mum hat in ihrer Nachricht geschrieben, dass über einhundert Frauen festgenommen wurden. Es ist so ungerecht. Mum und Dr. Hatcher und Dr. Rosen – lauter kultivierte, gebildete und kluge Frauen. Klüger als viele Männer. Warum hört Mr Asquith nicht auf sie? Warum gesteht er ihnen das Wahlrecht nicht zu?«
    »Weil er den Eindruck hat, dass dies bei den Wählern der Liberalen Partei nicht gut ankommen würde. Das sind schließlich alles Männer und die meisten von ihnen noch nicht bereit anzuerkennen, dass Frauen genauso intelligent, wenn nicht sogar intelligenter als sie selbst sind«, antwortete Joe.
    »Nein, das glaube ich nicht. Das ist es nicht.«
    Joe hob eine Augenbraue. »Nein?«
    »Nein. Ich glaube, Mr Asquith weiß, wenn Frauen das Wahlrecht erhalten, dann werden sie es benutzen, um ihn abzuwählen.«
    Joe brach in schallendes Lachen aus. Katie sah ihn wütend an. »Das ist nicht komisch, Dad. Das stimmt.«
    »Das stimmt tatsächlich. Steck diese Akten in meine Tasche, und nimm sie bitte mit.«
    Während Joe beobachtete, wie sie ihren Block und Füller ablegte und seine Sachen einpackte, empfand er große Liebe für sie. Er und Fiona hatten inzwischen sechs Kinder: Katie, fünfzehn; Charlie, dreizehn; Peter, elf; Rose, sechs, und die vierjährigen Zwillinge Patrick und Michael. Während er Katie jetzt ansah, die inzwischen so erwachsen wirkte und so schön war, erinnerte er sich an den Tag, als sie ihm in die Arme gelegt wurde. Von diesem Moment an, als er sie festhielt und in ihre Augen blickte, war er ein anderer Mensch geworden. Er hatte dieses kleine Wesen an sich gedrückt und gewusst, dass es für immer einen Platz in seinem Herzen haben würde.
    Joe liebte alle seine Kinder und freute sich über ihre Eigenarten, Vorlieben, Ansichten und Fähigkeiten, aber Katie, seine Erstgeborene, stand ihm besonders nahe. Vom Aussehen her war sie eine jüngere Version ihrer Mutter. Sie besaß Fionas Schönheit, ihren schlanken Körperbau und ihre Anmut, aber das leidenschaftliche Interesse für Politik hatte sie von ihm. Sie war entschlossen, nach Oxford zu gehen, Geschichte zu studieren und dann in die Politik einzutreten. Sobald die Frauen volle Freiheitsrechte erlangt hätten, erklärte sie, würde sie für die Labour-Partei kandidieren und das erste weibliche Parlamentsmitglied werden. Ihr Ehrgeiz in dieser Hinsicht hatte sie bereits in Schwierigkeiten gebracht.
    Vor sechs Monaten war sie aufgefordert worden, die Kensington-Schule für junge Damen zu verlassen, nachdem sie auf eigene Faust die Reinigungskräfte und den Gärtner überredet hatte, einer Labour-Gewerkschaft beizutreten. Er und Fiona hatten eine andere Schule für sie gefunden, aber nach drei Monaten wurde sie erneut aufgefordert, die Schule zu verlassen. Diesmal wegen dreimaligen unentschuldigten Fehlens beim nachmittäglichen Französisch- und Anstandsunterricht. Nach dem dritten Verstoß zitierte die Direktorin, Miss Amanda Franklin, Katie in ihr Büro. Sie wollte wissen, warum sie den Unterricht versäumt habe und was wichtiger sein könne als Französisch- und Anstandsunterricht.
    Als Antwort reichte ihr Katie stolz eine Zeitung, die aus einem einzelnen, auf der Vorder- und Rückseite bedruckten Blatt bestand. Auf der Vorderseite stand in Großdruckbuchstaben das Wort SCHLACHTRUF , darunter, nur geringfügig kleiner, KATHARINE BRISTOW, CHEFREDAKTEURIN .
    »Ich hätte Ihnen

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