Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
unmöglich.
Ihre Gedanken wanderten weiter. Wenn sie die Schule verlassen musste, würde sie auch Delren verlassen müssen. Delren, Kie, selbst der Abschied von Carath würde ihr schwer fallen. Und da wären noch ihre Eltern, die daheim in Arka auf sie warteten. Begnadete Kampfkünstler, die sich nichts sehnlicher wünschten, als dass ihr einziges Kind ihre Schule für nördliche Kampfrichtungen übernahm. Wie sollte sie dem gerecht werden, wenn sie nicht einmal einen vernünftigen Abschluss hatte, wenn sie kaum mehr konnte als die Leute, die sie unterrichten sollte, wenn sie keinen einzigen Kampf gewann?
»Ich werde es nicht schaffen«, erklärte sie mit heiserer Stimme, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte. Rinartin hatte sie betrachtet und geschwiegen. Es war auch gut so; nichts von dem, was er sagen würde, konnte Serrashil aus ihrer misslichen Lage helfen.
»Ich weiß. Ich habe mit Großmeister Randef gesprochen.«
Serrashil konnte es sich im letzten Moment verkneifen, freudlos aufzulachen. Sehr schön. Nicht einmal ihr Lehrer hatte Vertrauen in sie. Eigentlich konnte sie gleich im Anschluss ihre Koffer packen.
»Sein Name ist Mashdin. Er lebt in einem Dorf in der Provinz Uratha von Chaylia. Eine Kampfkunst namens Oren’si ist sein Spezialgebiet. Hier ist eine Karte. Der einfachste Reiseweg ist darauf verzeichnet.«
Völlig überrumpelt griff Serrashil automatisch nach dem Papier, das Rinartin ihr reichte. Es war eine Landkarte, auf der mit roter Tinte ein Weg von Jadestadt in Richtung Südosten eingezeichnet war.
»Ich habe in Erfahrung gebracht, dass Euer Gefährte Delren für seine Aufgabe in diese Richtung reisen muss. Er wird Euch sicherlich einen Teil des Weges mitnehmen können.«
Serrashil kniff die Augenbrauen zusammen. Das ging ihr eindeutig zu schnell. »Was meint Ihr?«
»Wenn Euch an Eurer Ausbildung hier etwas liegt, solltet Ihr zu Mashdin reisen und Euch von ihm in seiner Kampfkunst unterweisen lassen. Sie ist nicht übermäßig bekannt, selbst Randef konnte mir nichts Genaueres dazu sagen.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum helft Ihr mir?«
Rinartin atmete tief ein. »Ich möchte nicht, dass Carath schon so bald seine einzige Bezugsperson hier verliert.«
»Delren und Kie könnten ihm genauso gut helfen«, erwiderte Serrashil mit hochgezogenen Augenbrauen. Da steckte doch mehr dahinter.
»Außerdem wäre es wundervoll von Euch, wenn Ihr Mashdin eine Nachricht von mir überreichen könntet.« Rinartin wandte den Blick ab.
»Warum nehmt Ihr nicht einfach einen Boten?«, hakte Serrashil misstrauisch nach. Mit diesem Angebot stimmte etwas ganz gewaltig nicht.
»Weil ich nicht kann!« Rinartins sonst so ruhige Stimme war lauter geworden, was sie erschrocken zusammenzucken ließ. Er stieß die Luft aus und rieb sich über die Schläfen. »Verzeiht mir.« Nervös spielte der Schulleiter mit den Fingern. Immer wieder öffnete er den Mund und setzte an, etwas zu sagen, doch kein Wort kam ihm über die Lippen. »Serrashil«, brachte er schließlich hervor, »Mashdin kann Euch helfen, Eure Prüfung zu bestehen. Und … es ist von großer Wichtigkeit, dass er dieses Schreiben von mir erhält. Wollt Ihr diesen Auftrag annehmen? Damit wäre uns beiden geholfen.«
Sie zögerte. Wenn Rinartin Recht behielt, würde sie es möglicherweise in den dritten Grad schaffen und ihr Studium war fürs Erste gesichert. Dennoch blieben ihr Zweifel. »Ich traue der Sache nicht«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Warum ausgerechnet ich? Und warum könnt Ihr keine Boten dafür benutzen? Was habe ich, was Eure Boten nicht haben?«
Der Schulleiter lächelte, doch es hatte wenig Fröhliches an sich. »Mein Vertrauen. Im Gegensatz zu meinen Boten könntet Ihr aus den Informationen in dem Schreiben nichts gewinnen. Stattdessen ist die Reise für Euch selbst ebenfalls von Vorteil.«
»Aber Eure Boten …«, setzte Serrashil an, wurde aber von einem Wink Rinartins unterbrochen.
»Ich will Euch nicht mit in die politischen Wirren Jadestadts hineinziehen, Serrashil. Ihr habt Eure Probleme, ich die meinen.« Er griff nach einem versiegelten Brief und betrachtete ihn gedankenverloren, dann sah er auf und reichte ihn Serrashil. Sie runzelte die Stirn. Hatte sie es sich nur eingebildet oder hatte seine Hand dabei gezittert?
»Kann ich Euch darum bitten, Mashdin dieses Schreiben zu über …« Rinartin stockte und blickte auf einen Punkt hinter Serrashil. Die Haut um seine Nase war unnatürlich
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