Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
spüren. Er streckte seinen Geist nach ihr aus und versuchte, den ihren zu erhaschen. Sie befand sich gerade so nahe, damit er sie spürte, aber nicht nahe genug, dass er mit ihr in Kontakt treten konnte.
Ohne lange nachzudenken, sprang er auf und verließ Serrashils Zimmer. Er machte sich nicht die Mühe, sich etwas überzuziehen, wie die Bewohner dieser Stadt es immer taten. Der Schnee hier in Jadestadt behagte ihm, er war nicht so kalt und eisig wie in seiner Heimat. Warum die rosigen Menschen dennoch froren, blieb ihm ein Rätsel. In seiner Heimat würde sicherlich niemand von ihnen überleben können, wenn ihnen der Winter hier schon so sehr zusetzte.
Carath schlich auf leisen Sohlen die Treppe hinab und durch das Gemeinschaftszimmer im Erdgeschoss. Es war keine Menschenseele zu sehen, nur die Glut glühte ihm Ofen und verbreitete Wärme in dem Raum. Carath ließ seinen Geist vorsichtig vorantasten, doch er spürte nur schlafendes Bewusstsein um sich herum.
Kalte Luft schlug ihm entgegen, als er vor die Tür trat. Es war eine klare Nacht und die Monde schienen hell vom Himmel herab. Die Hohe Schule lag wie verlassen da. Serrashil hatte ihm erklärt, dass sie sich nach dem letzten Gongschlag der Nacht nicht mehr außerhalb ihrer Zimmer aufhalten durften. Was für eine unsinnige Regelung! Carath fragte sich, wie Geschöpfe wie die Menschen an all die Nahrung kamen, die sie im Überfluss zu besitzen schienen. Gerade in der Nacht jagte man doch am Besten.
Er folgte dem Weg, der zum Schulgelände hinaus führte, ohne dabei sonderlich auf seine Umgebung zu achten. Seine Konzentration galt ganz der Präsenz der Vertrautheit, die vage an sein Bewusstsein kratzte. Sie führte ihn aus der Stadt hinaus und in den Wald, in dem er sich verlaufen hatte.
Zögernd blieb er am Waldrand stehen. Er wusste, dass sein Orientierungssinn ihn wieder herausbringen würde, jetzt, wo er schon einmal in Jadestadt gewesen war. Dennoch war ihm die Sache nicht geheuer. Arkanura war entführt worden, das heißt, ihre Entführer waren höchstwahrscheinlich bei ihr. Sie wollten ihn vermutlich zu sich locken.
Er ballte die Hände zu Fäusten. Sein Leben hatte ohne Arkanura keinen Sinn mehr. Er brauchte kein anderes Wesen, nur sie. Sie war ein Teil von ihm, war es immer schon gewesen, und er brauchte sie. Carath wusste nicht, was mit Galdana geschah, die ihre Haelras verloren, denn er kannte niemandem, dem es passiert war. Doch so schwach und ausgelaugt wie er sich fühlte, so, wie die Verzweiflung an ihm nagte, glaubte er nicht, dass er lange würde bestehen können.
Langsam tat er den ersten Schritt zwischen die Bäume. Ein zweiter kam, dann ein dritter, und er ließ sich wieder stetig von dem Hauch des Geistes führen, den er von seinem Wolf fühlte. Carath folgte dabei dem von Menschenhand erschaffenen Weg, der sich von Steinen markiert als Schneise zwischen den Bäumen hindurchschlängelte. Arkanuras Entführer hatten den langen Steinteppich wohl auch genutzt, denn es gab keine Spuren im Schnee, die von ihm weggeführt hätten.
Carath wusste nicht, wie lange er gegangen war, als sich der Weg absenkte und in eine Schlucht führte. Zu beiden Seiten ragten immer höhere Felswände auf. Die Erde glitzerte dort so grün, wie es die Höhlen der Menschen in Jadestadt taten. Am anderen Ende der Schlucht hob sich der dunkle Mantel einer Gestalt gut sichtbar vom Schnee ab. Carath hielt inne und tastete mit seinem Geist nach ihm. Die Gestalt hatte ihr Bewusstsein versperrt, doch was er spürte, reichte, damit sich ihm die Nackenhaare aufstellen. Er kannte den Menschen nur zu gut. Es war der Mann, der ihm seinen Wolf genommen und ihm erklärt hatte, wie er ihn zurückbekommen konnte.
Am Liebsten hätte Carath sein Gedankenschild durchbrochen und ihn getötet, doch das hätte ihm wenig geholfen. Oder er konnte ihm einen Kälteblitz schenken, der ihm innerhalb weniger Sekundenbruchteile alle Wärme entzog und tötete.
Der Mensch starb in Caraths Fantasie hunderte Male, ehe er ihn erreichte und in mehreren Metern Abstand stehen blieb. Wütend funkelte er ihn an.
»Was willst du von mir, Sohn einer Hündin? Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihn zu töten«, zischte er.
Der Mann lächelte. Carath konnte seinen Mund unter seiner Kapuze sehen, die er sich bis zur Nase ins Gesicht gezogen hatte. »Dein Glück, Welpe. Andernfalls hätte er dich wohl mit Leichtigkeit in der Luft zerrissen.«
Carath knurrte. »Ich werde ihn töten.«
»Daran habe ich
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