Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
Magen zog sich schmerzhaft zusammen und Übelkeit überkam sie. Hoffentlich war es nichts Ernstes. Aber aus welchem Grund sollte der Schulleiter sie sonst höchstpersönlich zu sich rufen? Wenn es um Carath ging, hätte er den Galdana bestimmt selbst zu sich gebeten.
Rinartin ging voran in Richtung Hecke und blieb an der Stelle stehen, wo der Weg direkt hineinführte. Verwundert zog Serrashil die Augenbrauen hoch. Er erwartete doch wohl nicht, dass sie durch das Gestrüpp kroch?
Der Schulleiter machte eine Bewegung, als würde er an eine Tür klopfen. »Lass uns passieren.« In den Büschen raschelte es. Schnee fiel von den Blättern. Für einen Moment glaubte Serrashil, zwei fenstergroße Augen zu erblicken, die sie durch die Hecke anstarrten, dann ging ein erneutes Rauschen durch das Gestrüpp und es gab einen schmalen Durchgang frei.
»Bitte, nach Euch.« Rinartin machte eine einladende Handbewegung. Mit klopfendem Herzen trat Serrashil an ihm vorbei. Es brauchte mehrere Schritte, um die Hecke zu durchschreiten. Zweige kratzten über ihre Haut und ihre Kleider und sie war froh, als sie endlich die andere Seite erreicht hatte.
Zahlreiche bunte Lichter lenkten ihre Aufmerksamkeit auf sich, kaum dass Serrashil durch die Hecke hindurch getreten war. Die Lichter schwebten durch die Luft um einen baumhohen Strauch herum und spiegelten sich auf dem Wasser eines Sees, dessen Ende Serrashil nur erahnen konnte. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass das Schulgelände so groß war.
Die fliegenden Lichter waren jedoch nicht das einzig Staunenswerte auf dieser Seite der Hecke. Kaum eine der exotischen Pflanzen, die eingeschneit ihre Köpfe oder Zweige hängen ließen, kam Serrashil bekannt vor.
»Hier ist es wunderschön«, stellte sie leise fest, als Rinartin neben sie trat. Ihre Stimme störte die angenehme Stille in dem verschneiten Paradies des Gartens.
»Ja, nicht wahr?« Die Augen des Schulleiters leuchteten, während er seinen Blick über die Landschaft schweifen ließ. Als er sich mit einem leisen Seufzen losriss und den ersten Schritt tat, schloss sich der Durchgang in der Hecke hinter ihnen so plötzlich, dass Serrashil erschrocken zusammenzuckte. Rinartin ignorierte es und sie folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl in der Bauchgegend. Zum wiederholten Male fragte sie sich, was der Schulleiter wohl von ihr wollte. Warum brachte er sie hierher, an diesen Ort, der für Menschen wie sie unerreichbar sein sollte?
Ein paar der Lichter lösten sich von dem Strauch und schwebten zu ihnen. Eines landete auf Serrashils ausgestrecktem Finger und sie musterte es fasziniert. Es war ein Leuchtkäfer, dessen Torso von innen heraus zu leuchten schien. Sie hatte ihn noch nie gesehen, weder lebend noch als Abbildung in einem Schulbuch.
»Woher stammen diese Käfer?« Sie dachte nicht lange nach, ehe sie die Frage stellte, doch als die Worte über ihre Lippen waren, bereute sie es schon fast. Serrashil warf dem Schulleiter einen bangen Blick zu, während dieser stehen blieb und sich zu ihr umwandte. Sie durfte nicht vergessen, wen sie hier vor sich hatte.
»Aus dem Großen Wald. Die Utera nennen sie Rifelre.« Er lächelte sie an und gab ihr mit einem Wink zu verstehen, weiterzugehen. Der Käfer auf ihrem Finger flatterte ungelenk davon, um wieder zu dem Strauch zurückzukehren.
»Wie kommen sie hierher?«, hakte Serrashil weiter nach, durch Rinartins freundliche Antwort ermutigt. Sie würden den weiten Weg bis zum Wald wohl kaum selbst zurückgelegt haben.
»Ich habe diesen Strauch da mitgenommen, als ich dort war. Sie hatten sich in seinen Zweigen eingenistet und ich habe es nicht bemerkt.«
Serrashil zog die Augenbrauen hoch. »Ihr wart schon einmal im Großen Wald?« Sie hatte noch nie einen Menschen getroffen, der bereits dort gewesen war. Viele Leute fürchteten sich vor den Gefahren, die angeblich in den Schatten der hohen Bäume lauerten. Wieder andere behaupteten, er sei verflucht und würde niemanden lebend gehen lassen, der einmal einen Fuß hineingesetzt hatte.
»Das tut nichts zur Sache. Ich habe Euch nicht gerufen, um Euch meine Lebensgeschichte zu erzählen.« Sein freundlicher Gesichtsausdruck nahm seinen Worten die Schärfe, doch Serrashil nickte und nahm sich vor, trotz ihrer Neugierde nicht weiter danach zu fragen. Der Große Wald hatte sie schon von Kindesbeinen an fasziniert und sie hatte alles verschlungen, was man an Büchern dazu in die Finger bekommen konnte. Es brannte ihr auf der Zunge, Rinartin
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