Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
ganz und gar nicht, wenn man Leute aufhält, die für mich arbeiten.«
Serrashil glaubte, sich verhört zu haben. War der Kerl noch ganz bei Sinnen? So sprach man nicht mit einem Wächter! Es sei denn, er hatte die nächsten Tage nichts vor und wollte die Zeit im Kerker absitzen.
Die Züge des Ordnungshüters wandelten sich von Verblüffung zu Empörung. »Wer wagt es, so mit mir zu sprechen? Zeigt Euch!«
Der Mann seufzte und warf in einer theatralischen Bewegung die Kapuze von seinem Kopf. Wirres, giftgrünes Haar kam darunter zum Vorschein, das ihm bis auf die Schultern fiel. Serrashils Herz setzte einen Schlag aus und begann dann, umso schneller gegen ihre Rippen zu pochen. Das war doch …!
»Großmeister Seran«, keuchte der Wächter überrascht und verbeugte sich sogleich. Sein Gesicht nahm die Farbe der Uniform an.
»Verzeiht mir bitte. Ich wusste nicht, dass …«
»Ja, ja, schon gut«, würgte der Grünhaarige ihn ab und wandte sich zu Serrashil um. »Komm, Mädchen, lass uns unseren Gast rasch zur Hohen Schule bringen. Bevor es am Ende noch weiteren Straßenkötern in den Sinn kommt, uns aufhalten zu müssen.«
Sie starrte ihn einen weiteren Atemzug lang an, nickte dann schnell und folgte seinem wallenden Umhang. Seran als dem Großmeister für Gedankenmagie an der Hohen Schule widersprach man besser nicht.
Die Leute beeilten sich, ihm Platz zu machen, starrten sie aber umso neugieriger an.
Serrashil war sich unsicher, was sie von der Wendung der Geschehnisse halten sollte. Klar, Seran hatte ihr geholfen. Aber war sie dadurch nicht vielmehr vom Regen in die Traufe geraten? Bisher hatte sie nichts mit dem Großmeister zu tun gehabt, aber es kursierten viele Geschichten um seine Person. Über die Grenzen seines Unterrichtsraums hinaus galt er als wankelmütig und unberechenbar. Eine Person, die man besser mied. Sogar der Wächter hatte Angst vor ihm gehabt, ein Umstand, der sie nicht gerade beruhigte.
Dennoch atmete sie erleichtert auf, als sie die aufgebrachten Bewohner Jadestadts hinter sich ließen. Sie hatte nicht gedacht, dass es so schwer war, jemandem das Leben zu retten.
Kurz vor der Treppe, die zum Gelände der Schule im Herzen der Stadt führte, blieb Seran so abrupt stehen, dass Serrashil beinahe in ihn hineinlief.
»Gib ihn mir«, sagte er knapp in einem Tonfall, der keine Widerrede zuließ.
Serrashil zögernte erneut. Was hatte der Großmeister mit dem Fremden vor?
Der Blick seiner stahlgrauen Augen traf den ihren. Er lächelte, was ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. Wie alle Angehörigen seiner Rasse wirkte er nicht viel älter als sie, obwohl er bestimmt schon hunderte von Jahren zählte. Seine unnatürlich feingliedrigen Züge glichen dem Mann, den sie im Wald aufgelesen hatte, doch im Gegensatz zu seiner blassen Haut hatte die von Seran einen leichten Grünstich.
»Keine Sorge, ich werde ihn dir nicht wegnehmen. Du siehst jedoch nicht so aus, als würdest du ihn noch da hochtragen können.«
Da konnte sie ihm nicht widersprechen. Ihre Knie zitterten bereits unter der Last und sie war sich nicht sicher, ob sie die Treppe noch schaffte. Serrashil ließ den Fremden von ihrem Rücken gleiten, wo der Utera ihn sogleich auffing. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie verspannt ihre Schultern waren. Sie ließ sie kreisen und senkte den Blick.
»Vielen Dank.«
»Nichts zu danken.«
Wie Serrashil zuvor nahm er den Ohnmächtigen Huckepack und begann, mit kräftigen Schritten die Stufen nach oben zu marschieren. Obwohl er die Last auf seinem Rücken trug, hatte Serrashil Mühe, mit ihm mitzuhalten.
»Ich … Ich habe ihn im Wald gefunden«, erklärte sie ihm aus einem Gefühl heraus, nachdem sie ungefähr die Hälfte der Stufen hinter sich gelassen hatten.
»So?«, entgegnete der Großmeister desinteressiert.
»Ist er ein Utera?«, fragte Serrashil vorsichtig.
»Ein Utera?«, wiederholte er entrüstet. »Natürlich nicht.«
Serrashil zuckte zusammen. Für eine Weile schwieg sie, bis sie ihren ganzen Mut zusammengenommen hatte, um nachzuhaken: »Was ist er dann?«
Den Blick unverwandt nach vorne gerichtet, ging Seran schweigend weiter. Serrashil erwartete schon, dass er ihr nicht mehr antworten würde, als er schließlich das Wort ergriff: »Er ist ein Galdana. Ihr Menschen bezeichnet sie als Winterelfen .«
Ein Winterelf? »Davon habe ich noch nie gehört«, sprach sie ihren Gedanken aus.
Unterdessen hatten sie das Schulgelände erreicht. Der Utera blieb stehen, warf ihr
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