Die Winterprinzessin
immer noch viel Neues.«
Ich stieß Jakob an. »Zeig der Prinzessin Vaters Uhr.«
Die Taschenuhr war das einzige Erbstück, das unser Vater uns bei seinem Tod hinterlassen hatte. Seit Jahren trugen wir sie Tag für Tag abwechselnd. Die morgendliche Übergabe war längst zum Ritual geworden. Heute war Jakob an der Reihe, morgen würde ich sie mein Eigen nennen dürfen.
Es gefiel Jakob keineswegs, unseren Schatz vor diesen Fremden zu offenbaren, doch auf mein Drängen überwand er sich. Ehrfürchtig zog er die Uhr unterm Mantel hervor, ohne die Kette zu lösen. Mit sichtlichem Widerwillen legte er sie in Jades zarte Hand, musste sogar näher an sie heranrücken, weil die Kette zu kurz war. Die Prinzessin besah sie sich von allen Seiten, klappte sie auf, betrachtete das ziselierte Zifferblatt und gab sie Jakob schließlich zurück. »Ein feines Stück, in der Tat.«
Blitzschnell schob Jakob sie zurück in seine Tasche, als fürchtete er, Kala könne sie kraft seiner Gedanken vom Kutschbock aus rauben. Und, wer weiß, vielleicht hätte er das wirklich vermocht.
Jade beugte sich vor und griff zwischen ihren Füßen unter den Sitz, wobei sie Rock und Mantel bis zu den Waden anheben musste. Sie trug eng anliegende Stiefel, schien also keineswegs so unempfindlich gegen den Schnee zu sein wie der alte Mann. Zu meiner stillen Freude machte sie das menschlicher, fassbarer.
Als sie die Hand wieder unter dem Griff hervorzog, hielt sie eine kleine hölzerne Kiste umklammert. Sie klappte den Deckel auf und entnahm ihr eine seltsam geformte Pfeife, stopfte etwas hinein und entzündete es mit Feuerstein und Stahl. Wenig später schon paffte sie hellgelbe Wolken in die Luft.
»Möchten Sie vielleicht auch – «
»Nein, vielen Dank«, unterbrach Jakob sie streng. Ich war froh, dass er das Angebot ablehnte, denn so blieb mir diese Unhöflichkeit erspart. Der süßliche Geruch schlug betäubend auf meine Sinne.
»Ich hoffe, es stört Sie nicht«, sagte die Prinzessin.
»Wir sind nur Gäste«, entgegnete Jakob knapp und ließ keinen Zweifel daran, was er wirklich dachte.
Jade sah mich an. »Ich hörte, in Ihrem Land ist es ungewöhnlich, wenn Frauen Pfeife rauchen.«
»Ein wenig, in der Tat«, erwiderte ich.
»Sie rauchen gar nicht?«
»Aber nein«, beeilte ich mich zu versichern.
Sie zuckte mit den Schultern. »Nun, den hiesigen Tabak würde ich auch nicht rauchen.«
Die Kutsche rumpelte durch ein Schlagloch, und etwas Großes löste sich aus dem Gepäckfach über meinem Kopf. Um Haaresbreite sauste es an meinem Gesicht vorüber und krachte auf den Boden. Erschrocken zuckten Jakob und ich zurück.
»Oh«, entfuhr es Jade, »das gehört Kala …«
Der seltsame Gegenstand bestand aus zwei leicht gewundenen Tierhörnern, horizontal miteinander verbunden, sodass die Spitzen in entgegengesetzte Richtungen wiesen. In der Mitte, wo die stumpfen Enden aneinander stießen, befand sich ein handgroßer Rundschild, dahinter ein Griff.
»Ein Madu«, erklärte Jade, während sie das gefährliche Ding wieder verstaute. »Es dient heiligen Männern wie Kala, die keine Waffe tragen dürfen, zur Verteidigung.« Sie musste auf Zehenspitzen stehen und ihren zarten Körper strecken, um die Waffe zurück ins Fach zu legen. Ich wollte aufstehen, um ihr zu helfen, doch sie presste mich mit einem sanften Druck ihrer Hand zurück auf die Bank.
»Lassen Sie nur, Herr Grimm, es geht schon.«
Wenig später saß sie uns im Schneidersitz gegenüber. Ihr hochgeschobenes Kleid entblößte unschicklich die Knie. Ich bemerkte bebend, wie schlank und wohl geformt ihre Beine waren; sie hatten die Farbe von Tee mit Milch. Jade lächelte und sprach immerzu, während die gelblichen Schwaden ihrer Pfeife die Kabine durchzogen. Anders als der Rauch gewöhnlichen Tabaks brannte dieser nicht in den Augen, nahm mir auch nicht den Atem. Stattdessen fühlte ich mich mit jeder Minute gelöster und zugleich auch schläfrig. War das die Erschöpfung, die ihren Tribut verlangte, oder lag es an den süßen Dämpfen aus Jades Pfeife? Je länger ich darüber nachsann, desto gleichgültiger wurde es mir, und selbst Jakob zog es vor, zu schweigen. Ich bemerkte, wie sich seine Lider senkten. Seine Züge verklärten sich zu einem Ausdruck sanften Traums. Auch ich fühlte mich befreit und so beschwingt, so unsagbar glücklich.
Einmal war mir, als schriebe Jade etwas auf einen Zettel. Dabei redete sie ohne Unterlass. Wie durch Federkissen vernahm ich, dass sie von Kala
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