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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erzählte; er sei Fakir und könne über Feuer, Glas und Schwertklingen schreiten. Meine Sinne schwebten außerhalb meines Körpers, eingenebelt von güldenem Frohsinn. Ich war berauscht, ohne Verstand, und wünschte mir, es möge ewig so bleiben. Irgendwann glaubte ich, in der Ferne Reiter zu hören. Schließlich schlief ich ein.
    Einmal noch muss ich kurz aufgewacht sein, denn ein Bild brannte sich in meinen Schlaf, das mir seltsam wahrhaftig erschien. Mir war, als beugte sich Jade über mich, ganz nah, bis ich ihren Atem auf meinen Lippen spürte. Sie roch süß, so süß, und steckte mir einen Kranz aus Trockenblumen ins Haar. Dann wich sie zurück, und das Bild verblasste.
     
    * * *
     
    Am nächsten Abend erreichten wir die Stadt. Es dunkelte bereits, als die Kutsche durchs nördlichste der Tore rollte. Der alte Fakir hatte den Pferden kaum Rast gegönnt. Die geschundenen Tiere hatten uns wacker durch Schnee und über spiegelndes Eis gezogen, und obgleich es mir nicht gerecht schien, sie so schlecht zu behandeln, war ich doch froh, endlich am Ziel zu sein.
    Was die Ereignisse der Nacht betraf, nun, ich hatte beschlossen, darüber zu schweigen. Verstohlen tastete ich nach Goethes Empfehlungsschreiben, doch weder der Brief noch meine Börse waren entwendet worden. Die beiden Inder hatten uns nichts Übles gewollt. Jakob allerdings war zutiefst verwirrt. Ihn, den ehernen Verfechter der Vernunft, verstörte die eigene Achtlosigkeit. Ich fragte mich, ob ihm ein ähnliches Traumbild erschienen war wie mir selbst, wagte aber nicht, es zur Sprache zu bringen. Er hätte mir doch nur Schwärmerei vorgeworfen.
    Die Stadt war angelegt wie ein Fächer. Die Residenz des badischen Regenten war der alles beherrschende Angelpunkt, von ihr aus strahlte ein fächerförmiges Netz von Straßen nach Süden. Die prächtigen Parkanlagen des Schlosses grenzten an den Hardtwald. In jenen Tagen hieß es, dass sich Räuberbanden in den Forsten versteckten, junge Männer, die vor den Truppenaushebungen Napoleons geflohen waren und Überfälle auf Höflinge unternahmen, die sich zu tief in die Schatten wagten. Kala hatte die Kutsche tollkühn über einsame Wege gelenkt, mitten durch finstere Waldesgründe, doch das Schicksal schien es gut mit uns zu meinen. Es hatte keinerlei Zwischenfälle gegeben.
    Karlsruhe schien mir selbst im Glanz seines Wintergewandes reizlos und spröde. Die langen, geraden Straßen hatten auf dem Reißbrett eines Mathematikers ihren Anfang genommen und endeten nun in der Wirklichkeit, ohne dabei an Leben zu gewinnen. Schloss und Stadt waren noch keine hundert Jahre alt. Manchem mochten sie in ihrer künstlichen Vollkommenheit prächtig erscheinen; mir aber, der ich gewachsene, behagliche Orte schätze, war dieses Monument kalter Planung zuwider. Wohl ahnte ich, dass Jakob sich mit der baulichen Logik Karlsruhes anfreunden mochte, zu sehr entsprach das starre Gitterwerk der Straßen dem Muster seines Denkens. Die meisten Häuser hatte man aus Gründen der Sparsamkeit aus Holz errichtet. Die Wände waren rot gestrichen, um den Eindruck solider Ziegelmauern zu erwecken, doch schon ein kurzer Blick enthüllte die Täuschung. Eine traurige Offenbarung.
    Wir hatten kaum den Fuß in die Stadt gesetzt, da fanden wir uns bereits in einem wilden Tumult. Eine große Horde abgerissener Gestalten war umringt von Dutzenden Bürgern, meist Frauen, Kindern und Alten. Überall fielen sich Menschen in die Arme, es kam zu Ausbrüchen von Jubel ebenso wie zu stillen Szenen am Straßenrand, wo einzelne weinend zusammenbrachen und das Gesicht in den Händen bargen. Es war ein seltsamer Anblick, dieser Gegensatz von heißer Erregung vor der kühlen Sachlichkeit der Stadt.
    Die abgerissenen Männer, die diesen Aufruhr verursacht hatten, waren offenbar Soldaten, die aus dem Krieg heimkehrten. Von einer Niederlage, wohlgemerkt. Ihre Uniformen waren zerfetzt, manche trugen nur noch Lumpen am Leib. Mit Decken, Fellen und Stoffwickeln schützten sie sich vor der Kälte. Einige Offiziere saßen noch auf Pferden und suchten sich den fahlen Anschein von Würde zu geben. Dem widersprach jedoch ihre Kleidung. Manche waren in Damenmäntel aus Seidenzeug gehüllt, besetzt mit Zobel – in der Kälte Russlands war alles erlaubt, um am Leben zu bleiben. Die Männer waren versprengte Überlebende von Napoleons Großer Armee, die im russischen Winter so kläglich gescheitert war. Der Kaiser hatte bereits im Dezember den Rückweg angetreten, bei Nacht

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