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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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langsam mal jemanden anrufen?«, frage ich in die Stille hinein, richte mich aber an Charlie.
    »Wen denn?«
    »Ich weiß nicht«, erwidere ich. »Unsere Verwandten. Tante Sade und Onkel Tommy«, schlage ich vor, nachdem mir endlich die Namen der älteren Schwester meiner Mutter und ihres Schwagers eingefallen sind. »Und Tante Eileen und Onkel Ed.«
    »Onkel Ted«, verbessert mich Charlie. »Und Tante Sade ist vor drei Jahren gestorben.«
    »Ist sie nicht.«
    »Ist sie wohl.«
    »Woran soll sie denn gestorben sein?« Charlie muss sich irren, Sade war meine Lieblingstante, und an die Nachricht von ihrem Tod würde ich mich erinnern.
    »An Krebs.«
    »Was für Krebs?«
    »Keine Ahnung, Prissy, einer, an dem man stirbt.«
    »Du meinst Tante Luce.« Ein verständlicher Irrtum. Die Schwestern sahen sich sehr ähnlich. Ich weiß genau, dass es Luce war, denn meine Mutter hatte auf der Beerdigung meines Vaters gesagt: Erst Luce, jetzt euer Vater. Als Nächstes bin ich dran.
    Charlie verdreht die Augen, sagt aber nichts mehr. Im Zimmer ist es bis auf den leisen Atem meiner Mutter wieder still.
    Gegen Mitternacht langweilen wir uns nur noch, wir sind alle müde, und uns tun die Knochen vom Sitzen weh. Ich habe mich im Schneidersitz neben Quentin auf den Boden gehockt. Quentin ist eingeschlafen, sein Kopf liegt in meinem Schoß. Natürlich will ich jeden Moment von Moms letzten Stunden auf Erden auskosten, aber irgendwie will ich es auch hinter mir haben. Ich würde mich so gerne umziehen und etwas anderes tun, als nur zu warten. Ich muss wieder an die Anrufe denken, die ich zu erledigen habe. Offenbar fühlen sich immer die Töchter dafür verantwortlich – warum eigentlich?
    »Weißt du, wie ich Tante Sade erreichen kann?«, frage ich Charlie.
    »Ich sagte doch schon, sie ist tot«, erwidert Charlie. »Rufst du bei der Gelegenheit auch gleich Dad an?«
    Ich stoße einen wütenden Seufzer aus, verzichte aber darauf, einen Streit anzuzetteln. »Was ist mit Onkel Ted? Irgendjemandem sollten wir Bescheid geben, oder nicht?«
    »Was willst du denn sagen?«, fragt Charlie mit kaum verhohlenem Ärger. »Dass Mom im Sterben liegt? Dann musst du, wenn sie tot ist, noch mal anrufen. Warte doch ab und erledige es in einem.«
    »Er lebt in Halifax, da sollten wir ihm wenigstens die Gelegenheit geben, schon mal zu planen.«
    »Gott, Prissy, bei dem Tempo könnte er auf seinem einen gesunden Bein bis Paradise Bay laufen und wäre trotzdem rechtzeitig hier.« Charlie ist offenkundig genauso frustriert wie ich. »Vielleicht ist das ein Wachkoma, dann bleibt sie noch Jahre am Leben, ohne sich zu rühren.«
    »Ohne lebensverlängernde Maßnahmen geht das nicht«, erwidere ich süffisant.
    Charlie seufzt und schaut wieder auf die Uhr. »Gott, warum dauert das so scheißlang?«
    »Was soll ich denn tun, Charlie? Ihr ein Kissen aufs Gesicht drücken?«
    »Ich hab nicht mit dir geredet, klar?«
    »Dann halt einfach die Klappe.«
    »Halt du sie doch.«
    »Arschloch.«
    Wenn Mom dazu in der Lage wäre, würde sie sich einmischen und uns beiden befehlen, die Klappe zu halten. Was für ein jämmerliches Benehmen! Da zanken wir uns an ihrem Totenbett. Dabei sollten wir sie feiern, Geschichten aus glücklichen Kinderzeiten erzählen und mit Respekt über ihr Leben und die Art, wie sie es gelebt hat, sprechen. Ich schiebe Quentin ein Kissen unter den Kopf und stehe auf, um Arme und Beine zu strecken.
    »Weißt du noch, wie Mom dich erwischt hat, als du Mr. Hickeys Haus mit Eiern beworfen hast?« Mr. Hickey war Charlies Klassenlehrer im letzten Schuljahr. Er hatte Charlie nicht nur ein Mangelhaft in Englisch gegeben, sondern ihn auch noch zum Nachsitzen verdonnert, weil Charlie lauthals und recht unflätig gegen die Note protestiert hatte.
    Charlies Miene wird weich. Er lächelt. »Gott, ja«, nickt er. »Der Hurensohn hatte es verdient. Aber Mom hat mich dafür ordentlich rangenommen.«
    Das hatte sie in der Tat. Meine Mutter hatte Charlie mit Unschuldsmiene zu Hayward’s geschickt, um ein Dutzend Eier und eine Flasche Glasreiniger zu kaufen. Dann hatte sie ihn in den Garten befohlen, mit den Eiern beworfen und wüst beschimpft. Charlie war darüber so fassungslos, dass er wie gelähmt war und schließlich von Eigelb triefte. Daraufhin hatte Mom ihm den Reiniger in die Hand gedrückt und sich persönlich davon überzeugt, dass Charlie bei Mr. Hickey gründlich saubermachte.
    »So wütend, glaub ich, hab ich Mom nie mehr gesehen«, füge ich hinzu und

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