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Die Witzekiste

Die Witzekiste

Titel: Die Witzekiste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lentz
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eintrifft und die Entlassenen aussteigen, sucht sie in der Menschenmenge ihren Jungen. Plötzlich stutzt die Alte, kneift die Augen zusammen und geht dann zielstrebig auf einen hochgewachsenen Mann mit grauem Haarkranz zu. Sie umarmt und küsst ihn und flüstert: »Pjotr , mein Sohn, nun bist du wieder bei mir. Wie schön, dass ich das noch erleben kann.«
    Unter Tränen blickt der Heimkehrer seine Mutter liebevoll an.
    »Nun erklär mir mal eins, Mama« , sagt er nach einer Weile,
    »woran hast du mich eigentlich erkannt?«
    »An deinem Mäntelchen, mein Junge …«

    Der Gastwirt Hein aus Bremerhaven hat sich beim Schneider einen neuen Anzug machen lassen. Als er nach Hause kommt, überprüft seine Frau Antje den Sitz des teuren Prachtstücks und sagt: »Du , Hein , das ist ja nun wirklich ein ganz besonders schönes Teil. Aber hinten am Rücken wirft er ‘ne kleine Falte. Lauf mal schnell zum Schneider, er soll dir das ausbessern.« Der Schneider nickt gelassen, als Hein ihm den Einwand seiner Frau mitteilt. »Ich wusste, dass Sie kommen würden« , sagt er, »aber der Fehler liegt nicht bei uns, sondern an Ihrer Figur. Ihre rechte Schulter ist ein bisschen schief, wenn wir das unterfüttern, würden wir den ganzen Anzug versauen. Aber es gibt eine Lösung. Sie müssen nur die linke Schulter etwas anheben, dann ist die Falte weg.«
    Hein kommt mit angehobener Schulter nach Hause und lässt den Maßanzug von Antje begutachten. »Tadellos« , sagt sie, »du siehst wirklich schick aus. Aber warte mal: Jetzt wirft das Teil in der rechten Hüfte eine ziemlich große Quetschfalte. Nun geh mal schnell zum Schneider, der soll dir das reparieren.«
    »Ich wusste, dass Sie kommen würden« , sagt der Schneider, als Hein zum zweiten Mal vor ihm steht. »Ihre Frau hat ein gutes Auge, aber der Fehler liegt nicht bei uns, sondern an Ihrer Figur. Ihre rechte Hüfte hat eine leichte Krümmung, das lässt sich nur ausgleichen, wenn Sie die linke Hüfte etwas anwinkeln und nach vorne schieben.« Hein befolgt den Ratschlag des Schneiders und kommt mit angehobener Schulter, die linke Hüfte angewinkelt und verschoben, nach Haus. Antjes kritische Augen entdecken an der Rückenpartie des Anzugs keinen Fehler mehr, aber als sie den Sitz der Vorderseite überprüft, schüttelt Antje unwillig den Kopf. »Das ist ja kaum zu glauben« , meint sie, »aber jetzt wellt sich hier an der rechten Brust der ganze Stoff. Nun lauf mal schnell zum Schneider und lass dir das in Ordnung bringen …«
    Der Schneider hört sich auch die dritte Beschwerde seines Kunden in aller Gemütsruhe an. »Wir können da nichts machen« ,
sagt er, »Ihre rechte Brust ist flacher als die linke, wenn wir das wattieren, ist der ganze Anzug im Eimer. Aber sobald Sie den Oberkörper zurücklehnen und den Kopf ein wenig schief halten, ist der Schaden behoben.« Wieder lässt sich der Gastwirt auf die Empfehlung seines Schneiders ein. Als Hein den Heimweg antritt und – die vorgeschriebenen Haltungen streng befolgend – über die Hauptstraße geht, kommen ihm zwei elegant gekleidete Herren entgegen. Der eine wirft einen mitleidigen Blick auf Hein und flüstert dem anderen zu: »Dieser arme Krüppel kann einem wirklich leidtun.«
    »Da hast du recht« , sagt der zweite Herr, »aber ’n guten Schneider hat er …«

    Das Mäntelchen, der Maßanzug, die Strumpfhose, der Minirock. 1964 schrieb Rudolf Augstein, der Chef des ›Spiegel‹, den gedankenvollen Satz: »Der Minirock der Mary Quant und die Beatles haben die politisch relevante Gesellschaft mehr verändert als Sartre, Camus, Heidegger und Teilhard de Chardin…«
    Ein kurzer Witz brachte das so geadelte Kleidungsstück mit einem anderen Sachverhalt in Verbindung: 1964 stieg die Zahl der Gastarbeiter in Deutschland auf 1 Million.

    Frage: »Warum tragen die deutschen Mädchen so gern Miniröcke?«
    Antwort: »Weil die Gastarbeiter so kurze Arme haben.«

    Wie reagierten die deutschen Frauen auf die Häme der Männer? Zunächst noch zurückhaltend. Vielleicht hatten die Mütter, Töchter, Singles aus den »gutbürgerlichen Kreisen«, in denen sich – vom Wirtschaftswunder hochgetragen – auch Arbeiterfamilien etablierten, keine Lust zur Gegenwehr. Vielleicht waren die Hausfrauen beim Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln auch gar nicht in der Stimmung, über Antimännerwitze nachzudenken. Es reichte ihnen, wenn die angeheiterten Herren der Schöpfung sonntags zu spät zum Mittagessen kamen und auf jeden Vorwurf, jede

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