Die Witzekiste
Herr Staatsratsvorsitzender« , antwortet das Mädchen. »Ich wünsche mir, dass Sie für einen Tag die Mauer öffnen lassen.«
Da droht Honecker schelmisch mit dem Zeigefinger und sagt:
»Du , du , du … du willst wohl mit mir allein sein.«
Nach dem 9. November 1989 konnten solche dem Oberhaupt der DDR zugeschriebenen Hirngespinste nicht mehr gesponnen werden. Die Mauer war weg, ganz Deutschland jubelte. Was »zusammengehört«, wie Willi Brandt meinte, wuchs allerdings doch nicht so leicht zusammen. Die Westdeutschen mussten zahlen, die Ostdeutschen für ihre neue D-Mark hart arbeiten. Sparen war angesagt; bei knappen Kassen hatten unter anderem Märkte für Waren zum »Selbermachen« Hochkonjunktur.
Das Ehepaar Zeindel hat sich im ersten Möbelgeschäft der Stadt die teuren Bauteile für einen hochmodernen Kleiderschrank gekauft und im Schlafzimmer nach Gebrauchsanweisung zusammengebaut.
Eines frühen Morgens – ihr Mann ist schon zur Arbeit – steht Eva Zeindel vor ihrem Schrank und bewundert seine makellose Schönheit. Da fährt draußen die Straßenbahn nach Stoppenberg vorbei. Das neue Möbelstück ächzt in allen Fugen und stürzt in sich zusammen.
Entsetzt eilt Frau Zeindel zum Telefon, ruft den Geschäftsführer des Möbelhauses an und berichtet ihm atemlos über den Zusammenbruch des Kleiderschranks.
»Lassen Sie alles so stehen und liegen, gnädige Frau« , beruhigt sie der Mann, »ich schicke Ihnen sofort unseren für solche Ausnahmefälle zuständigen Spezialisten.«
Wenig später lässt Eva Zeindel den Spezialisten herein, einen gutaussehenden Herrn in den besten Jahren. Fachmännisch baut er den Schrank wieder auf, und als er seine Arbeit beendet hat, rattert draußen die Straßenbahn nach Stoppenberg vorbei. Der kostbare Einkauf zittert und bricht zusammen.
»Aha« , sagt der Spezialist, »die Sache ist klar wie Kloßbrühe.
Die Straßenbahn bewirkt Erschütterungen, die unser schöner Schrank nicht vertragen kann. Wann kommt die nächste Bahn?«
»In einer halben Stunde etwa« , sagt Frau Zeindel.
Der Spezialist lächelt gewinnend, baut den Schrank in zehn Minuten wieder auf und erklärt: »Ich werde gleich in den Kleiderschrank steigen, um mir einmal genau anzusehen, welche Einzelteile von den Erschütterungen besonders in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir müssen dann einige Schrauben austauschen und die Verstrebungen verstärken – selbstverständlich kostenlos.«
Der Spezialist steigt in den Schrank, bittet Frau Zeindel, die Tür abzuschließen und kräftig dagegenzudrücken. Während sie das tut, kommt Herr Zeindel nach Haus, er hat einen Aktenordner vergessen. Pfeifend kommt er am Schlafzimmer vorbei, sieht , wie seine Frau – noch im Morgenrock – die Schranktür zuhält, und ist mit zwei Schritten bei ihr. Er stößt Eva beiseite, reißt die Tür auf und sieht drinnen einen Mann stehen, der in gekrümmter Haltung mit beiden Händen die Verstrebungen des Schrankdachs abtastet.
»Was machen Sie denn hier?«, fragt Herr Zeindel.
»Sie werden es nicht glauben: Ich warte auf die Straßenbahn nach Stoppenberg« , antwortet der Spezialist.
Garantiert Marktwirtschaft schon Demokratie? Die Diskussion darüber verstärkte sich nach dem »Sieg« des Kapitalismus über den Sozialismus im Wettstreit der Systeme. Eine weise, jiddische Geschichte wurde wieder aktuell:
Der Moische trifft den David und fragt:
»Sag , was hast du da unter dem Arm?«
»Ein Bild, ich will es verkaufen.«
»Zeig her« , sagt der Moische. »Es ist ja wirklich ein schönes Bild, was willst du dafür haben?«
»Na , zwanzig Dollar.«
»Gut , dafür nehme ich es.«
Eine Woche später treffen sich die beiden wieder, diesmal hat der Moische das Bild unter dem Arm.
»Was hast du denn da?«, fragt der David.
»Dein Bild, es passte doch nicht so recht in meine Wohnung. Ich werde es verkaufen.«
»Und was willst du dafür haben?«
»So fünfundzwanzig Dollar, dachte ich.«
»Es ist ein schönes Bild, ich nehme es« , sagt der David.
Es vergeht wieder eine Woche, die beiden treffen sich, diesmal hat der David wiederum das Bild unterm Arm.
»Das ist ja unser Bild« , sagt der Moische, »nenn mir einen Preis, wenn du es verkaufen willst.«
»Dreißig Dollar will ich dafür haben.«
»Gut , dafür nehme ich es.«
Die Woche darauf begegnen sie sich erneut, und das Feilschen um das Bild geht noch eine Weile hin und her. Bis der Tag kommt, an dem keiner von beiden mehr das Bild besitzt.
Und der
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