Die Wohltäter: Roman (German Edition)
mich nach Südamerika, wo ich den Armen helfen werde.«
Bei seinem letzten Satz leuchteten seine Augen.
Jemand öffnete die Wohnungstür, und ein hübsches Mädchen in Juhas Alter mit rotem, krausem Haar kam in die Küche. Ihrem Aussehen nach kam sie aus Osteuropa.
»Ich bin nur kurz hier, um Mütze und Handschuhe zu holen«, rief sie Juha auf Englisch zu. »Ich mache heute Abend mit der Büchse weiter«, sagte sie und streckte Ninos ihre kalte Hand entgegen. »Entschuldigen Sie, ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen.«
Ninos fragte, ob sie sich nicht eine Weile zu ihnen setzen wolle. Sie setzte sich und berichtete, sie heiße Olga und komme aus Tschechien. Sie hatte in der Lokalzeitung ihres Heimatortes eine Anzeige gelesen und beschlossen, sich anzuschließen. Ninos fragte, ob ihr die Ausbildung gefiele. Bevor Olga antworten konnte, öffnete sich die Wohnungstür erneut. Ein Mann und eine Frau um die zwanzig, die beide buntgemusterte Schals trugen, stürzten in die Wohnung und unterhielten sich lautstark. Er war Deutscher, sie Österreicherin. Sie waren Ninos gegenüber nicht so wohlgesonnen wie die anderen und griffen ihn sofort an.
»Sie haben uns doch gebeten, nicht mit Journalisten zu sprechen. Ihr seid nur auf Skandale aus. Und die gibt es hier nicht. Skandale, meine ich. Wir arbeiten mindestens zehn Stunden am Tag, verdienen dreihundert in der Woche und bezahlen so unsere Schulden ab. Wir sind bereit, nach Palästina, Afrika, Indien, in die Mongolei zu fahren – überall dahin, wo wir anderen helfen können. Und welchen Beitrag leistet ihr Journalisten, außer, dass ihr Menschen schadet?«
Die Frage des Deutschen schwebte noch in der Luft, als die Österreicherin anfing, Juha zu beschimpfen. »Hast du Irmtraud nicht zugehört? Oder willst du nur mal ein bisschen Aufmerksamkeit, ganz für dich allein?«
»Du weißt, dass es Punktabzug gibt, wenn wir das hier melden«, setzte der Deutsche in Juhas Richtung hinzu, der mittlerweile etwas verängstigt aussah.
»Wer hat euch gesagt, dass ihr nicht mit Journalisten sprechen sollt?«, fragte Ninos und versuchte sie damit zu beruhigen, dass er nicht auf Skandale aus sei. Er gehöre ja selbst zu einer unterdrückten Minderheit und sei einmal als Flüchtling gekommen. Warum sollte er Personen, die die Welt retten wollten, etwas Böses tun? Er konnte nicht erkennen, ob sie ihm seine Begründung abkauften. Um keine Zeit zu verlieren, kam er jedoch direkt zur Sache.
»Habt ihr jemals etwas über Jens Karsten Møller gehört? Er muss irgendeine leitende Funktion bei HHH haben.« Ninos hob die Schultern, um zu zeigen, dass er nicht mehr als das wusste.
Der Deutsche brauste sofort auf. »Und genau davor haben sie uns gewarnt. Ihr kümmert euch nicht um die Welt, ihr wollt nur Skandale. Møller war vor vielen Jahren einmal bei HHH. Er hat nichts mit uns zu tun.«
»Warum fragen Sie uns nichts darüber, wie viele Menschen jedes Jahr in Afrika verhungern?«, warf die Österreicherin in unbeholfenem Englisch ein.
»Habt ihr denn schon einmal was von den Ausbildern gehört?« Ninos dachte nicht daran, zurückzuweichen.
Juha begann zu strahlen. »Irmtraud ist Ausbilderin. Und wir können es auch werden. Nicht alle schaffen es. Aber wenn, dann wird man Chef der Freiwilligen und darf durch die ganze Welt reisen und so.«
Der Deutsche und die Österreicherin sahen Juha böse an, weil er schon wieder den Mund aufgemacht hatte.
Olga war für eine Weile aus der Küche gegangen und kam zurück. »Irmtraud ist unterwegs.«
Alle Augen richteten sich auf Ninos. »Sie müssen jetzt gehen. Wenn sie uns hier mit Ihnen findet, wird sie sehr aufgebracht sein. Das könnte uns schaden«, sagte Juha nervös. »Bitte gehen Sie jetzt.«
»Aber sie will doch wohl auch den Armen helfen. Wie kann sie euch denn da gefährlich werden? Das verstehe ich nicht. Könnt ihr mir das erklären?«, fragte Ninos ruhig. Doch alle saßen mucksmäuschenstill da und sagten nichts mehr. Ninos sah ein, dass seine Zeit abgelaufen war, steckte sein Mobiltelefon in die Tasche und ging zur Tür. Nach einer Weile fand er seine eigenen Schuhe zwischen den Schuhbergen. Als er gerade dabei war, sie anzuziehen, öffnete sich die Tür erneut.
Eine etwa sechzigjährige Dame stand auf der Türschwelle. Sie sah genau aus wie die anderen. Wäre Ninos nicht gerade in Dänemark gewesen, hätte er sie ziemlich harmlos gefunden. Ein bisschen vom Typ nervige Schuldirektorin. Jetzt erlebte Ninos den Pony und die
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