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Die Wohltäter: Roman (German Edition)

Die Wohltäter: Roman (German Edition)

Titel: Die Wohltäter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Nordberg , Nuri Kino
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wieder ernst.
    »Møller vertritt den klassischen imperialistischen Blickwinkel – die Bevölkerungen in Afrika, Südamerika, Asien und Indien verstehen nicht, was für sie selbst am besten ist. Er aber kann sie aufklären und befreien. Er hat gemeinsam mit uns gearbeitet, im Schlamm, in der Küche, auf Baustellen. Dann hat er sich nach und nach von der physischen Arbeit zurückgezogen. Stattdessen sah er sich selbst nur noch als Führer, dem größere Aufgaben zustanden als das Verteilen von Essen und Kleidung.«
    »Wenn die anderen es nicht durchschaut haben, warum habt ihr es dann nicht getan?« Es kümmerte Ninos nicht, ob seine Frage zu hart formuliert war.
    Ingrid sah wehmütig aus.
    »Ich werde euch von den Großversammlungen erzählen, die mehrmals im Monat stattfanden. Nach einem langen Arbeitstag versammelten wir uns in der Aula. Møller stand auf der Bühne und sprach zu uns – er lobte das, was wir während der Woche an Arbeit geschafft hatten, aber er trieb uns auch an, mehr zu schaffen und schneller voranzukommen. Es war unmöglich, sich von dort zu verdrücken. Wenn er besonders verärgert war, verbot er uns mitunter schlichtweg, den Saal zu verlassen. An manchen Tagen hielt er vierundzwanzig Stunden durch. Keiner durfte schlafen. Er führte uns vor, dass man alles erreichen konnte, wenn man nur wollte. Alles basierte darauf, seine eigenen Schwächen zu überwinden. Wir strebten permanent danach, die nächste Stufe der Kraft und Selbstkontrolle zu erreichen. Und immer war er der Stärkste. Am Ende schien es ganz natürlich, dass er uns führte, denn er hatte sämtliche Elemente besiegt – er war nie müde, er war nie hungrig, er zweifelte nie. Wir anderen verloren zwischendurch einmal den Mut oder die Zuversicht, er jedoch nie. So ließ sich jeder davon überzeugen, dass es nur die eigenen Schwächen waren, die einen daran hinderten, große Taten zu vollbringen.«
    Sie senkte den Kopf und wirkte verlegen. »Irgendwann war ich so darauf bedacht, ihm zu Diensten zu sein, dass ich mich nicht mehr beschwerte. Ich dachte, das würde mich in seinen Augen herabsetzen. Wir hatten einen wichtigen Auftrag zu erfüllen, und darum blieb uns keine Zeit für Egomitleid. «
    »Egomitleid?« Ninos musste erneut nachfragen.
    »Entschuldigung«, sagte Ingrid. »Das war unsere eigene Bezeichnung. Oder besser gesagt Møllers.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie ihr Unbehagen abschütteln. »Das Schlimmste, was es gab, war Mitleid, und am gefährlichsten war es, das Mitleid auf sich selbst zu richten. Unsere gesamte Ideologie baute darauf auf, dass es keinen Platz für Mitleid sich und anderen gegenüber gab, wenn wir unseren Auftrag erfüllen wollten. Wir waren Krieger, die die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen sollten. Sobald ein Krieger sich schwach fühlte, musste er die Schwäche mittels Gedankenkraft beseitigen. Mitgefühl konnten wir uns nicht leisten. Wir verwendeten viel Zeit darauf, das Egomitleid zu bekämpfen.«
    Ninos und Anna sahen sich an. Beide wunderten sich über dasselbe. Etwas, das Ingrid in ihrem Bericht nur hastig gestreift hatte.
    »Warum nimmt er das Geld?«, entfuhr es Ninos. »Und wie bist du darauf gekommen?«, fragte Anna nahezu gleichzeitig.
    »Im Nachhinein verstehe ich ganz genau, wie es passieren konnte und wie absurd das eigentlich war«, antwortete Ingrid. »Aber damals ging alles so schnell, und ich war zu involviert.«
    Sie sprang hastig vom Sofa auf, ging in eines der Schlafzimmer und kam mit einem zerfledderten Schuhkarton unter dem Arm wieder. Als sie ihn öffnete, sah Ninos, dass er größtenteils alte Papiere und Fotografien enthielt.
    Das erste Bild, das Ingrid hochhielt, war ein Foto in gelblichbraunen Farbtönen. Vor einem Haus, das wie ein normales Mietshaus aussah, stand eine lächelnde, junge Frau in weißen Hosen und Rollkragenpullover. Über dem Pullover trug sie eine ärmellose Tunika mit aufgesetzten runden Taschen, die einer Schürze ähnelte. Neben ihr stand ein ungefähr gleichaltriger Mann. Sie hatten die gleichen Frisuren – eine Art Topfschnitt mit kurzem Pony.
    »Das hier bin ich.« Ingrid setzte ihren Zeigefinger auf das Bild. »In unserer eigenen Regierung war ich der Finanzminister. Neben mir steht Hans, der Außenminister. Guckt mal, hier steht es.« Ingrid zeigte auf den schmalen weißen Rahmen, der das Foto umrandete. »Zwei Jahre zuvor war Møller untergetaucht. Er hatte eine Großversammlung einberufen, aber sein Platz blieb leer. Einige von

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