Die Wohltäter: Roman (German Edition)
uns, die zu seinem engsten Kreis gehörten, wurden zu einer seiner Apfelplantagen gerufen. Dort berichtete er, man habe versucht, ihn zu erschießen, und er sei nur mit knapper Not entkommen. Er behauptete, dass der dänische Staat im Geheimen plane, unsere Aktivitäten zu untergraben. Dass wir deshalb gezwungen seien, unsere eigene Widerstandsbewegung zu gründen.«
Sie blickte von Anna zu Ninos. »Am Anfang war das ziemlich spannend. Wir parkten unsere Autos immer so, dass wir einen Ort schnell wieder verlassen konnten. Wir wurden dazu angehalten, immer unseren Pass und ausländische Währung bei uns zu tragen, falls wir kurzfristig gezwungen sein sollten, Dänemark zu verlassen. Ein von Møller erlassenes Dekret befahl uns, alles zu verbrennen, was mit unserem früheren Leben zu tun hatte. Familienfotos, private Adressbücher, Briefe und alle anderen Dinge mit Erinnerungswert sollten vernichtet werden. So unternahmen wir einen weiteren Schritt hin zu einer unabhängigen Gemeinschaft. Wir waren damit einverstanden, denn genau darüber hatten wir ja von Anfang an gesprochen.«
Danach erklärte Ingrid die Gründe für eine völlig eigenständige Regierung, die ausschließlich aus Ausbildern bestand. Møller hatte sie davon überzeugt, dass die dänische Gesellschaft die Bewegung und ihre Ideologie zerschlagen wolle. So hatte er sich allmählich selbst zum Staatsminister ihrer alternativen Gesellschaft auserkoren, berichtete sie. Durch seine Wohltätigkeitsarbeit unterhielt er mittlerweile gute Kontakte in andere Länder, sogar zu einigen afrikanischen Staatsoberhäuptern. Es gab einen Verteidigungsminister, der für Møllers Sicherheit sorgte, und einen Innenminister, der für den Betrieb der Schulen verantwortlich war. Als Mitglied Nr. 33 der Bewegung wurde Ingrid zu einem von zwei Finanzministern ernannt und kümmerte sich um die Buchführung. Sie hatte jahrelang die Buchführung für die Schulen übernommen, sodass dies naheliegend schien.
Møller und seine neunzehn Nächsten wurden »Die Notwendigen« genannt. Sie hatten das Patent auf die Wahrheit über alles, was um sie herum passierte, erklärte Ingrid. Wie die Welt zusammenhing und wie man sich als guter Kamerad zu benehmen hatte. Aus Solidarität mit Møller hörten alle Mitglieder Ende der siebziger Jahre damit auf, Zeitungen zu lesen. Das Wissen darüber, was außerhalb ihres Kreises geschah, verloren sie dadurch vollständig. Stattdessen fütterte man sie mit Geschichten über Briefbomben, Attentatsversuche, Telefonüberwachung und Geheimagenten, die eingeschleust wurden, um die Bewegung zu unterwandern.
»Das Geld«, erinnerte Ninos sie.
Ingrid blickte ihn scharf an. »Nun herrschte wirklich Krieg. Wir sollten der Gesellschaft so viel Geld wie möglich abluchsen, parallel zur Wohltätigkeit. Ich wurde zur Schnittstelle für alle Geschäfte und Zahlungen, die über die verschiedenen Firmen hineinströmten und abgewickelt wurden. Obwohl ich nur eine Amateurbuchhalterin war, verstand ich schnell, worum es ging. Schon nach kurzer Zeit wurde deutlich, dass ein großer Teil des Geldes nicht weiter in die Wohltätigkeit floss. Vieles davon wurde nun für Møllers geheimes, neues Leben im Exil aufgewendet. Fortan war er ein Märtyrer, und es war unsere Aufgabe, ihn zu schützen. Also schien es völlig angemessen, dass sein Leben und seine Unkosten ein Teil des Unternehmens waren. Und das sollte teuer werden, wie sich bald herausstellte.«
Die Unternehmensbewegung wuchs schnell. Kapital musste mit Kapital geschlagen werden, hatte Møller bestimmt. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass es nicht genügte, Spenden zu verteilen, um das Ziel einer gerechteren Welt zu erreichen – nun wurden auch weitreichendere revolutionäre Aktivitäten geplant, und dafür brauchte man Geld.
Ingrid zeigte noch ein Foto von dem Raum, in dem sie und der andere »Finanzminister« fast Tag und Nacht an der Buchführung gearbeitet hatten. Das Haus lag nur wenige hundert Meter vom Strand entfernt, aber während der vier Jahre, die sie dort gewohnt hatten, waren sie nur ein einziges Mal am Wasser gewesen.
»Ich hatte draußen Blumen gepflanzt, Magnolien. Jeden Morgen brauchte ich sieben Minuten, um sie zu gießen. Aber immer, wenn ich sie goss, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Denn diese sieben Minuten hätte ich eigentlich meiner Buchführung widmen sollen, dem Betrug an Versicherungen, Kommunen und anderen. Die Gesellschaft sollte alles zurückgezahlt bekommen, was sie
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