Die Wohltäter: Roman (German Edition)
Warum leihst du dir keinen von deinen Brüdern oder Cousins? Hat man dir schon wieder den Führerschein weggenommen?«
»Nein, dafür brauche ich ihn nicht. Und von meinen Verwandten einen auszuleihen wäre zu riskant, ich arbeite an einem gefährlichen Projekt«, erklärte Ninos und biss sich auf die Lippe, als er sich selbst reden hörte. Wie unnötig, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken, bevor sie sich überhaupt geeinigt hatten.
Ömer schüttelte den Kopf. »Erzähl mir nichts, ich möchte da nicht hineingezogen werden. Jedenfalls sehen wir uns nicht ähnlich. Es wäre besser, wenn du dir einen neuen Führerschein mit deinem Ausweis und meiner Personenkennziffer ausstellen lässt, das geht innerhalb weniger Wochen.«
»Das dauert zu lange, ich brauche ihn jetzt. Keiner wird einen genauen Blick darauf werfen – Papier ist Papier.«
»Und wann brauchst du ihn?«
»Wie wann? Ich sage doch, jetzt!«
Es war eine Weile still. Ninos redete sich ein, dass Ömer die Sache nur noch einmal durchdenken und sich die Vorteile in Erinnerung rufen musste, die damit einhergingen, seinem früheren Chef zu helfen.
»Lass ein Passfoto machen und komm dann wieder«, sagte Ömer schließlich. »Dann hast du in drei Tagen einen Führerschein mit meinem Namen und deinem Foto. Aber wir haben nie ein Wort darüber verloren.«
Ninos sprang auf, um ins Einkaufszentrum in Kista zu fahren und einen Fotoautomaten zu suchen, bevor Ömer es sich anders überlegte.
»Und bevor du gehst, gibst du mir bitte die Nummer deines Onkels, des Onkels, der einen Koch braucht«, fügte Ömer hinzu.
Vier Tage später war der neue Ömer Tunc auf dem Weg zur Sortieranlage von HHH. Ninos’ Version von Ömer hatte mehrere Tage lang nicht geduscht, geschweige denn die Haare gewaschen, und trug die schmuddeligsten Anziehsachen, die er hatte auftreiben können. Der Anklebebart aus dem Scherzartikelladen hatte sich schon beim ersten Probetragen als unbequem erwiesen und juckte so stark, dass Ninos fast wahnsinnig wurde und sich stattdessen einen eigenen Bart wachsen ließ. Der neugewachsene Bart kitzelte genauso unerträglich, aber wenigstens konnte er sich nun kratzen, ohne dabei seine gesamte Verkleidung zu gefährden.
Sverker, der Chef der Sortieranlage, zeichnete sich durch einen völligen Mangel an guter Erziehung und Höflichkeitsformen aus. Als er den arbeitsuchenden Ömer empfing, sprach er in kurzen, irritierenden Silben.
»Du kriegst fünfundsiebzig Kronen die Stunde. Kein Urlaubsgeld, keine Zuschläge. Du kannst arbeiten, so viel du willst. Wenn sich herausstellt, dass du fleißig bist, versteht sich.«
Ninos begriff, dass es hier keinerlei Arbeitszeitregelungen gab. Wer wollte, konnte problemlos achtzig Stunden in der Woche arbeiten. So konnte man in zwei Schichten sechstausend Kronen pro Woche verdienen, etwas, das viele Migranten gern in Anspruch nahmen. Entweder, um das Geld an die Familie zu schicken, die irgendwo anders lebte, oder um in Schweden ohne staatliche Unterstützung Fuß fassen zu können.
Ninos hatte sich darauf gefreut, beim Einstellungsgespräch zu erzählen, dass Ömer einen beruflichen Hintergrund als Koch, Taxifahrer und Lehrer aufweisen konnte.
»Ich spreche vier Sprachen. Türkisch, Kurdisch, Arabisch und Englisch. Ich bin mit Touristen in Istanbul ...«, fing er an.
»Selbst wenn du Ingenieur oder Anwalt wärst, würde uns das nicht interessieren«, fiel Sverker ihm ins Wort. »Alle behaupten so etwas. Aber hier zählt nur eins. Effektiv zu arbeiten und das zu machen, was einem gesagt wird. Ich stelle keine Fragen. Und wenn du hier arbeiten willst, solltest auch du nicht zu viele Fragen stellen.«
Ninos nickte mit halboffenem Mund. Ömer sollte konstant dämlich und ratlos aussehen, hatte er beschlossen. Er war gerade dabei aufzustehen, weil er annahm, das Gespräch wäre damit beendet, da pfiff Sverker ihn in brüskem Ton zurück.
»Bleib sitzen! Das Einzige, was mich interessiert, ist, ob du eine kriminelle Vergangenheit hast.«
Als er keine schnelle Antwort erhielt, wiederholte er seine Frage. »Bist du kriminell?«
»Krimi?«
»Do you have criminality in the past?«
Ninos schüttelte nachdrücklich den Kopf.
Sverker fuhr fort, zufrieden mit der Antwort:
»This is how we work. You come in time. No alcohol. No drugs. We all work hard, we help African children, the Indian children. We all do our best. You understand?”
Ninos nickte erneut, diesmal etwas eifriger. Was er gerade gehört hatte,
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