Die Wohltäter: Roman (German Edition)
den Staubsauger hinter sich her und warf sich unter einen der Tische.
»Sie haben den Raum offenbar nicht abgeschlossen«, hörte er Ole sagen. »Es kann doch wohl nicht so schwer zu verstehen sein, dass man alle Räume abschließen sollte.«
Ninos verharrte mucksmäuschenstill und bekreuzigte sich dreimal. Er führte die rechte Hand an die Stirn »im Namen des Vaters«, dann in Richtung Bauch, »im Namen des Sohnes«, zur rechten Schulter, »im Namen des Heiligen Geistes«, zur linken Schulter, »allein wahrer Gott«, und dann »amin«. Beim dritten Mal holte er etwas zu weit aus und stieß mit dem Ellenbogen gegen das Tischbein. Er hielt den Atem an. Doch Ole hatte genau im selben Moment den Kopierer ausgestellt und nichts bemerkt.
Ninos hörte, wie Ole die Tür verschloss. Er atmete schwer. Er war eingeschlossen. Großartig. Der kleine Ömer würde unter einem Tisch liegen und ersticken, wenn der Sauerstoff knapp wurde. Vorsichtig kroch er zur Tür. Sie ließ sich von innen öffnen. Behutsam schob er sie auf und sah hinaus, als er Esmeralda rufen hörte.
»Ich komme gleich, ein paar Minuten. Entschuldige!«
Er ging wieder zurück in den Raum. Gezielte Aktion. Kein weiterer Blödsinn. Wie sollte er sich selbst noch im Spiegel ansehen können, wissend, dass er aus lauter Angst versagt hatte. Er schaltete den Kopierer ein und stopfte ein Dokument nach dem anderen hinein. Halt die Klappe. Denk nach. Beruhige dich. Kopiere. Aber er hatte ja gar keine Ahnung, was er da kopierte, fiel ihm ein. Jaja. Trotzdem kopieren.
Er zitterte am ganzen Körper, berührte das Kreuz, das er um den Hals trug und murmelte einige kurze Gebete. Er spähte in den Flur und sah, wie Esmeralda die Tür zum Konferenzraum schloss.
»Moment, ich muss abschließen«, sagte sie und holte die Schlüssel hervor.
Als sie hinausgingen, bat sie noch einmal um Entschuldigung. »Jetzt bleibt dir gar keine Zeit mehr, es ist nur noch eine Viertelstunde von deiner Pause übrig.«
»Macht nichts, ich schon Bescheid gesagt, dass ich bin spät. Immer mit Ruhe«, log er, weil er nicht vorhatte, an diesem Tag noch einmal zurückzukehren. Tatsächlich würde er am liebsten nie wiederkommen.
Sie gingen in einen nahegelegenen Imbiss für LKW-Fahrer, wo ausschließlich schwedische Hausmannskost serviert wurde. Zusätzlich zu seinem Panikgefühl im Magen, das immer noch nicht nachgelassen hatte, spürte er nun auch einen unbändigen Hunger. Er bestellte sich eine doppelte Portion Wurst mit Stampfkartoffeln.
»Du hast aber einen guten Appetit«, sagte Esmeralda und warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.
Sie setzten sich an einen Fenstertisch, wo sie ihm ihre gesamte Lebensgeschichte in Kurzform servierte. Ihr Vater hatte einer Untergrundorganisation angehört, die gegen Pinochet gekämpft hatte, und eines Tages war der Vater verschwunden, und eine Dame von einer schwedischen Hilfsorganisation hatte Esmeraldas Mutter geholfen, Visa und Flugtickets für sich und ihre beiden Kinder zu organisieren. Normalerweise hätte Ninos darüber liebend gern mehr erfahren, aber er war unkonzentriert und hoffte nur, dass die Kopien unter seinem Pullover sich nicht in eine breiige Papiermasse verwandelten.
Kurze Zeit später betrat Esmeralda das Bürogebäude. Ninos winkte ihr nach und ging in Richtung Halle. Sobald sie weg war, rannte er, so schnell er konnte. Nachdem er das Industriegebiet verlassen hatte, holte er sein Mobiltelefon hervor und rief ein Taxi. Er hatte kaum aufgelegt, als ihm einfiel, dass er heute Morgen mit dem Auto gekommen war. Er rannte zu dem Parkplatz am Einkaufszentrum zurück und holte die Dokumente unter dem Pullover hervor. Vorsichtig legte er sie einzeln zum Trocknen auf den Rücksitz seines Autos. Nach einem Kavalierstart kutschierte er die wertvolle Ladung ruckartig in seinem Cabrio vom Parkplatz.
19
TUVA
Das ehrgeizige Ziel bestand darin, eine konsequente Selbstversorgung zu erreichen, erklärte Leif, nachdem er aus Stockholm angekommen war und die Kursleitung übernommen hatte. Bereits im Frühjahr sollten sie ihr eigenes Gemüse anbauen, ihren eigenen Kompost verwerten und so wenig wie möglich aus der Außenwelt hinzukaufen. Jeden Morgen standen die elf Teilnehmer um halb sechs auf und machten für sich und die Kursleiter Frühstück. Dann folgten weitere Stunden mit Hausarbeit, zu der auch die Einteilung von Essensrationen und Putzen gehörte.
Nach dem Mittagessen hielt Leif oder einer der anderen Leiter einen
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