Die Wohltäter: Roman (German Edition)
kher für seine Seele geben.«
Yamo sah glücklich aus. »Wir hatten überlegt, das Geld an eine Schule für arme Kinder in Qamishli zu spenden.«
»Gut«, sagten die Brüder Melke Mire genau im selben Augenblick. Ninos griff nach dem Umschlag, in den Manuel zweitausend Kronen hineinstopfte.
Die beiden Brüder nahmen ihre Tante Samira mit nach Stockholm zurück. Sie setzte sich auf den Rücksitz und kramte in ihrer Handtasche, die mit zerknüllten Geldscheinen und prallgefüllten Umschlägen vollgestopft war, nach Zigaretten. Sie hatte den Auftrag erhalten, das kher zu verwalten und zu seinem Bestimmungsort zu bringen. Samira war eine Weltverbesserin, die ausgezeichnete Kontakte in den Mittleren Osten hatte. Sobald es irgendwo eine Überschwemmung oder Flüchtlingswelle gab, hatte sie stets die aktuellsten Nachrichten und immer ein Projekt am Laufen, um Hilfe zu leisten. Gemeinsam mit Ninos’ Mutter startete sie zuweilen einen Rundruf und verlangte, dass jeder, der eine Karte zum gebührenfreien Medikamentenerwerb besaß, Medizin für Kinder beschaffen sollte. Diese wurde dann per Post in die Flüchtlingslager verschickt. Auch zu Ärzten hatte Samira ausgezeichnete Kontakte, die den Verwandten wiederum die entsprechenden Rezepte ausstellten. So hatte Ninos über Jahre hinweg eine ansehnliche Menge flüssiges Antibiotikum und Impfstoff gegen Cholera aus den Apotheken geholt, und nie hatte jemand Einspruch erhoben. Er war davon überzeugt, dass die Apotheker genau wussten, was vor sich ging. Pharmazeuten waren christliche Menschen, glaubte er.
Samira kurbelte die Rückscheibe herunter und zündete sich eine Zigarette an.
»Warum reichen wir unser kher eigentlich von Hand zu Hand weiter«, überlegte Ninos laut auf dem Vordersitz. »Es würde doch schneller gehen, alles auf ein Bankkonto zu überweisen. So musst du die ganze Zeit mit dem Geld durch die Gegend laufen.«
»Das hat viele Gründe«, erklärte Samira. »Nach Syrien kann man beispielsweise nicht ohne weiteres Geld von einer schwedischen Bank überweisen. In der Türkei haben viele Christen Angst davor, eine eigene Hilfsorganisation zu gründen. Und im Irak würde Saddam jede einzelne Öre beschlagnahmen. Im Libanon funktioniert das besser – dorthin kann man über christliche schwedische Organisationen Geld überweisen.«
»Aber warum haben wir kein 90er-Konto? Dann könnten alle Geld spenden, nicht nur wir. «
»Man muss erst eine Organisation gründen, die nicht zum Ziel hat, Gewinn zu machen. Dann kann man sich um ein Konto bei einer Stiftung bewerben, die alle Einnahmen überwacht. Sie nennt sich Stiftung für Spendensammlung und bestimmt, wer ein 90er-Konto bekommen darf. Was bedeutet, dass sie dafür garantieren, dass die Organisation glaubwürdig ist, überwacht wird und ethische Regeln befolgt. Kurzum, dass es sich nicht um Betrüger handelt. «
»Das verstehe ich immer noch nicht«, fuhr Ninos fort. »Willst du damit etwa sagen, wir sind weniger ehrlich als andere?«
»Nein, keinesfalls«, antwortete Samira schnell. »Da wir aber beispielsweise keine Organisation in der Türkei haben, an die wir Geld überweisen könnten, würde man uns nie ein 90er-Konto genehmigen. Sie wollen exakt wissen, wo das Geld landet – und das ist in unserem Fall ja unterschiedlich. Also müssen wir uns mit hawale zufriedengeben – von Hand zu Hand.«
Nun stellte Ninos eine Frage, über die er schon eine Weile nachgedacht hatte. »Aber was geschieht, wenn die Gelder überhaupt nicht ankommen, wenn jemand lediglich vorgibt, eine Hilfsorganisation zu betreiben, aber alles in die eigene Tasche wirtschaftet?«
»Dann würde man ihm das 90er-Konto auf jeden Fall entziehen«, gluckste Samira.
Perfekt, dachte Ninos zufrieden. »Ich bin gerade an einer solchen Sache dran.«
»Aha, was für eine denn? Und warum?«
»Ich werde Journalist.«
»Endlich! Hab ich dir nicht immer gesagt, dass du weiterstudieren sollst!« Samiras Gesicht hellte sich auf, und sie lächelte breit. Ninos verschwieg, dass er keineswegs vorhatte, Journalismus zu studieren, und ließ Samira ihre Predigt über die Bedeutung eines Studiums fortsetzen.
»Wenn ich heute jung wäre, würde ich nicht eine Sekunde zögern, ich begreife diese Jugendlichen einfach nicht. Hier kann man selbst wählen, was man werden will, und noch dazu bekommt man das Studium finanziert, oder man leiht sich Geld vom Staat. Aber hier wollen alle nur schnelles Geld verdienen. Warum studieren nicht mehr Menschen? Das
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