Die Wohltaeter
Bitte, mein Sohn!«
»Ich habe keine Zeit«, antwortete Ninos. Er versuchte, nicht allzu enttäuscht zu klingen über das Desinteresse der Mutter an dem, was er geleistet hatte. »Bist du nicht wenigstens ein bisschen stolz darauf, dass der Name deines Sohnes in der Zeitung steht?«
Seine Mutter ignorierte die Frage und fuhr fort, ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen. »Was auch immer du tust, vergiss nie, dass die Schweden uns Zuflucht gewährt haben, als wir Schutz brauchten. Du darfst die schwedische Regierung nicht angreifen.Dieses Land kümmert sich um uns alle, unabhängig davon, wo wir herkommen. Das sollte man anerkennen und schätzen.«
Sie hatten diese Diskussion schon viele Male geführt; meistens war es Ninos gewesen, der auf irgendeine Weise in Kontakt mit den schwedischen Behörden gekommen war. Als er mit zwölf im Che-Guevara-T-Shirt einen Schulstreik angezettelt hatte, weil Lehrermangel herrschte, hatte die Mutter befürchtet, sie würden alle aus dem Land ausgewiesen. Als er sich im Erwachsenenalter mit der Kreisregierung über eine Ausschankgenehmigung gestritten hatte, dachte sie, er würde im Gefängnis landen, weil er gegen einen behördlichen Beschluss Einspruch erhoben hatte. Sie selbst hielt sich so weit wie möglich von den Behörden fern, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.
Ninos sah die Sache etwas anders. Das heutige Schweden war nicht mit der Türkei der sechziger Jahre vergleichbar. Er hatte in seinem neuen Land den Wehrdienst abgeleistet und viele Jahre hart gearbeitet. Deshalb war er der Meinung, dass er den Schweden nicht zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet war. Seine Mutter stimmte dem nicht zu. Ninos hielt es außerdem für die Pflicht eines jeden Mitbürgers, darüber zu sprechen, wenn man den Eindruck hatte, mit der Demokratie stimme etwas nicht. Seine Mutter behauptete genau das Gegenteil.
Ninos unternahm einen Versuch, ihr zu erklären, wie wichtig es sei, dass niemand kher stehle, aber sie wiederholte nur, dass er die Regierung verärgert oder in Aufruhr versetzt haben könnte, indem er die Unterstützung erwähnt hatte, die an die HHH ausgezahlt wurde.
Er kam nicht dazu, ihr zu erläutern, dass er auf genau diese Wirkung hoffte.
31
Karins Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Bei einem Pärchenabend in der Villagata hatte sie zu viel sauren Weißwein getrunken und sich mit ihrem Tischherrn angelegt, nachdem dieser bereits während der Vorspeise postuliert hatte, alle Journalisten seien Kommunisten. Später hatte sie noch dazu nicht einschlafen können. Gegen vier Uhr morgens war sie aufgestanden und hatte von der großen Nachricht des Tages in der Morgenzeitung Kenntnis genommen, die ihr bis auf die Fußmatte geliefert wurde. Das verursachte ihr derartige Magenschmerzen, dass sie überhaupt kein Frühstück mehr herunterbekam.
Als sie sich auf dem Weg zum Rundfunkhaus durch die dunkle Karlavägsallé kämpfte, wusste sie bereits, dass der ganze Tag frustrierend werden würde. Es kümmerte sie nicht, dass man sie mitunter als arrogant bezeichnete, aber sie vertrug es überhaupt nicht, als faul dazustehen. Flintberg würde denken, dass sie im Fall HHH den Anschluss verloren hatte, was ziemlich schmerzlich wäre. Sie hatte ja auch tatsächlich kein besonderes Interesse an den Tag gelegt, sondern aktiv versucht, das Thema abzuwehren. Um etwas gegen das drohende Fiasko zu unternehmen und sich selbst ein wenig zu bestrafen, hatte Karin beschlossen, bereits zwei Stunden vor der morgendlichen Konferenz an ihrem Arbeitsplatz einzutreffen und Antworten auf all die Fragen vorzubereiten, die eventuell später auf sie zukämen.
Als sie die Straße überquerte, entdeckte sie die höchste Chefin, die auf einem wackeligen, schwarzen Fahrrad den Berg zum Rundfunkhaus hinaufstrampelte. Karin hielt kurz inne. An genaudiesem Morgen, an dem sie sich wie ein wertloser Mitarbeiter und Mensch fühlte, wollte sie der Chefin auf keinen Fall begegnen.
Edit Rönneberg sprang mit der lässigen Routine jahrelanger Übung in ihrem engen Kleid vom Fahrrad. Sie parkte es schlampig nicht am Fahrradständer, sondern durch und durch regelwidrig auf dem Hügel gegenüber dem Eingang.
Nur wer lange im »Sowjetklotz« gearbeitet hatte, wie das Rundfunkhaus genannt wurde, verstand die bewusste Radikalität, die in einer solchen Handlung lag. Im Übrigen trug die Chefin nie einen Fahrradhelm. Dann folgte der Augenblick, den Karin am liebsten mochte: wenn Rönneberg zum Eingang ging. Die
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