Die Wohltaeter
seinem Kopf und bat die blonde Frau mit den Kämmen im Haar um einen doppelten Wodka. Sie verzog keine Miene, als er seinen Wunsch äußerte, klappte einige Minuten später seinen Tisch herunter und stellte zwei winzige Fläschchen und ein Plastikglas mit bulligen Eiswürfeln ab. Ninos kippte alles in sich hinein und schlief unmittelbar ein.
Zwanzig Minuten später erwachte er von einem unaufhörlichen Klicken. Er öffnete die Augen einen Spalt und sah, dass das Geräusch von Tuva kam, die den Metallverschluss ihres Sicherheitsgurtes öffnete und geräuschvoll wieder zuschnappen ließ. Das wiederholte sie manisch.
»Wie geht es dir?«, fragte Ninos vorsichtig. Sie sah noch immer bleich und mitgenommen aus, aber sie waren alle einig gewesen, dass es besser war, sie so schnell wie möglich nach Hause zu fliegen, weswegen Antonio sie im Rallytempo nach Heathrow gefahren hatte. Dass es die richtige Entscheidung gewesen war, wusste Ninos spätestens, als er Bo Fagerlund anrief und dessen Stimme bei der Nachricht brach, dass Tuva sich auf dem Heimweg befand.
»Ich weiß, was ihr glaubt getan zu haben«, sagte Tuva, ohne Ninos anzusehen. »Ihr glaubt, ihr habt mich aus den Fängen einer gefährlichen Sekte befreit. Und dafür soll ich euch jetzt dankbar sein.«
Ninos wusste nicht, was er entgegnen sollte. Er war noch etwas verwirrt, weil er gerade aufgewacht war, und jetzt wurde er von einer Sektenaspirantin beschimpft, die ihm übelnahm, dass sie sich nicht mehr unter ihresgleichen befand.
»Es schien mir nicht unbedingt so, als ob sie dich dort noch länger haben wollten«, sagte er schließlich. »Aber wenn du gewollt hättest, dann hättest du bleiben können. Ich hatte keine Pläne, dich von dort wegzuholen«, log er. Dann wollte er etwas ergänzen, um dem, was er sagte, Nachdruck zu verleihen. »Wir haben bewiesen, dass die Spenden nicht ankommen. Mehrere Länder bezeichnen die Ausbilder und ihre Freiwilligenaktivitäten als Sekte. Das habe ich mir nicht ausgedacht.«
Die Temperatur in der Kabine war von eiskalt zu stickig-warmübergegangen, und Ninos zog seinen Rollkragenpullover aus. Das schwarze Kruzifix, das er an einer langen, mit schwarzen Perlen durchsetzten Silberkette trug, fiel über das Hemd, das er unter dem Pullover trug.
»Aber dass es Gott gibt, kannst du nicht beweisen, was?«, fragte Tuva.
»Und du kannst nicht beweisen, dass es ihn nicht gibt«, konterte Ninos ruhig. Wenn sie ihn über Gott befragen wollte, würde sie auch eine Antwort erhalten, dachte er.
»Na klar. Er. Ein alter Mann«, antwortete Tuva bitter. »Den eine Menge alter Männer erfunden haben.«
»Gott ist weder männlich noch weiblich. Er wird als eine Vatergestalt beschrieben, und die Kirche ist eine mütterliche Gestalt, die Leben schenkt. Man kann Gott nicht geschlechtlich einordnen.«
Tuva starrte ihn an. »Und ausgerechnet du sprichst von Sekten«, fuhr sie verächtlich fort. »Jesus war ja wohl der schlimmste Sektenführer von allen.«
Ninos begann das Gespräch zu amüsieren. Etwas Leben schien noch immer in seiner Mitpassagierin zu stecken.
»Zu Jesus kann man kommen oder von ihm gehen, wie man will«, erklärte er pädagogisch. »Es besteht kein Zwang. Er hat sich nicht dafür bezahlen lassen, dass man ihm zuhört.« Er sah Tuva lange an. »Und er schlug die Menschen auch nicht. Er wurde lediglich als Sohn Gottes geopfert.«
Dann beschloss Ninos, ihr einen zusätzlichen Bonus zu schenken. Johannes 3 :16. »Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.«
Tuva sah verwirrt aus. »Aber wer bist du? Ein Priester, oder was? Und wie kam es, dass ich auf einmal dich und deine ganze Bande an den Fersen hatte?«
Ninos erklärte es ihr und erläuterte ihr kurz seinen Hintergrund und den seiner Familie. Er erzählte, woher er Zoran, Matay und Sofia kannte. Als er einmal damit angefangen hatte, konnte er nicht mehr aufhören und sprach eine ganze Weile von sich selbst.
Tuva lauschte seiner gesamten Odyssee, von Midyat in der Türkeibis zur Morgenzeitung und zu etwas Neuem, von dem er noch nichts Genaues wusste. Als er geendet hatte, war sie der Meinung, seine Geschichte würde ihre Vorstellung über ihr eigenes Leben bestätigen.
»Okay. Du hast also deinen Jesus und all die Menschen um dich herum, aber wen habe ich ab jetzt?«
Ninos hob erstaunt seine Augenbrauen. Sie klang wirklich betrübt, und ihr
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