Die Wolkenbraut: Das Leben der Philippine Welser. Ein historischer Roman
klerikale Gewand. Ein Luftzug am nackten Hintern alarmierte den Entblößten. Einem Fußtritt ausweichend, stob ich zwergenflink hervor, krähte meine Entdeckung heraus.
Mein Herr und sein Oberstkämmerer Ladislaus von Sternberg schüttelten sich vor Lachen, während die Besucher im harten Stakkato protestierten. Spanier scheinen nicht zum Humor geschaffen. Düster wie ihre Roben ist ihr Gemüt.
So vergingen meine Tage mit Unverschämtheiten, die man mir beigebracht hatte.
Noch im Knabenalter hatte mein Körper mit dem Wachstum abgeschlossen. Eine Frage des Willens und einer glücklichen Veranlagung. Die gesparte Blühkraft meiner Glieder ließ meine Sinne umso schneller reifen. Alles schien Thomele zu sehen, zu hören, zu riechen und zu begreifen. Lang zu werden, meine Energie in großknochiger Tollpatschigkeit zu vergeuden, kam mir nie in den Sinn.
Trotzdem schien mein Herr nie zufrieden. Ließ verbreiten, ich sei schon ein Jüngling und schlief immer noch in seiner alten Säuglingswiege. Eine Lüge, recht nah an der Wahrheit, nur dass ich in irgendeiner Wiege neben seinem Lager ruhte. Jede Nacht, Atemzug für Atemzug. Kein Gedanke, seine Gunst zu verlieren. Womit wollte er einen Thomele ersetzen?
Dann kam sie: die Frau mit den schönen Nasenlöchern.
In diesen Gesichtshöhlen lese ich wie in einem Buch. Ist es doch dies, was unsere Statur uns als Blickfang aufnötigt.
Je höher die Langmenschen ihre Köpfe tragen, je geckenhafter sie die Nasen recken, umso genauer studiere ich sie. Gott blies Adam den Lebensodem nicht umsonst in den Zinken. Was Münder und Gesten verschweigen, verraten Nasenlöcher. Selbst der abgefeimteste Blender verrät sich bei Thomeles Naseninspektion.
Es gibt spitze, runde, ovale, sichelförmige, dreieckige, flatterige, nervöse, feinfühlige, erstarrte, großspurig aufgeblähte, in vieler Hinsicht unsymmetrische, adrige und rotzige Exemplare. Manche so haarig, als ob ein Tier darin wohnt, manche schnauben wie ein Gaul, manche sind ausgestanzt wie Gebäck aus einem Teig.
Die Nasenlöcher dieser unbekannten Frau verrieten, dass sie mehr wusste, als sie sah. An der Nasenwurzel rund und kindlich, ein friedlicher Ententeich. Lebendige Nüstern an den Spitzen zu Sicheln verjüngt. Geruchsschlitze, die der Schöpfer nicht ohne Absicht schuf. Ein Riechorgan zwischen Poesie und Waffe. Wohlgeformt zur Tarnung seiner Gefährlichkeit.
Dieser Nase entging nichts: kein Wetterwechsel, kein Kraut in einer Speise, keine Magd, die heimlich ein Kind trug, auch nicht der Duft der Geliebten im Bart eines Mannes. Nasenlochphilosoph Thomele war gewarnt.
Mein Herr hatte am Abend im Freien zum Tanz geladen. Bei jedem lauen Lüftchen trieb es ihn hinaus, verlagerte er den Hofstaat außerhalb der Burg, in die bei schlechter Witterung Regen und Schnee eindrangen. Weg vom Staub der Bauarbeiten, den Wirtschaftsräumen, den Stallungen und Abtritten, die den Hradschin bei falschem Wind in einen gigantischen Misthaufen verwandelten. „Unsere feinen Herren stinken direkt zum Himmel“, hieß es unten in der Stadt.
Inmitten dieses geruchvollen Entstehens und Vergehens tastet sich der Sankt-Veits-Dom empor, seine Türme wie Spalierobst an Gerüsten geführt. Die ewige Baustelle Gottes. Seit Unzeiten schon raubt sie jedem Höfling, sofern nüchtern, die Ruhe. Sicher auch dem heiligen Wenzel, über dessen Gebeinen sie rumort.
Die Gärten um das einstige Lustschloss seiner Mutter waren das Spielzimmer meines Herrn. Rund um das Belvedere hatte er zusätzliche Wasserleitungen, Fischteiche und Fontänen bauen lassen, wobei der singende Brunnen alles übertraf. Melodisches Plätschern, nein, Engelsgeflüster für den König dieses Ortes. Auch Beete wurden nach seinen Wünschen mit exotischen Blumen und Sträuchern befüllt. Mit seinem schiffskielartigen Dach glich der Belvedere einer Barke, die kieloben zwischen Seerosen trieb.
Schon Kaiser Ferdinand I. hatte das Lusthaus seiner Gemahlin Anna Jagiello von Böhmen und Ungarn geschenkt. Die Eltern meines Herrn waren sich herzlich zugetan gewesen. Ein nicht vorgesehener Glücksfall der hausinternen Heiratspolitik. Ein fruchtbarer obendrein. Beim fünfzehnten Kindbett war die kluge Frau mit den Eulenaugen fiebrig verglüht für eine weitere Weltherrschaft des Blutes. Man würde Tochter Johanna mit einem Medici vermählen. Ein strategisch brillanter Schachzug, nicht ohne Tragik. Auch sie würde im Kindbett sterben, von ihrem Gatten betrogen obendrein. Möge der Leser dem
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