Die Wuensche meiner Schwestern
schwemmte kalte Nachtluft mit ihr in den Raum. Ihre Augen waren vom Schlaf verquollen, ihre Strähnchen durcheinander.
»Aubrey? Alles in Ordnung? Was ist pass…?« Bitty hielt inne. Ihr Blick landete auf Meggie, und sie richtete sich überrascht auf. »Oh. Wann bist du denn gekommen?«
»Gerade eben.«
»Aubrey hat dich angerufen?«, fragte Bitty. »Sie wusste, wo du bist?«
Meggie hatte das Kinn eingezogen. »Äh, nein.«
»Wie … hast du es dann herausgefunden?«
»Wie habe ich was herausgefunden?«, fragte Meggie.
Bitty blinzelte verwirrt. »Wie hast du das mit Mariah herausgefunden?«
»Was ist mit Mariah?«
»O Gott.« Aubreys Magen verknotete sich, und sie umfasste ihren Bauch, als könnte sie die Übelkeit mit den Händen stoppen.
»Alles okay?«, fragte Bitty.
»Tut mir leid, ich muss mich setzen.« Ihre Schwestern sahen zu, wie sie sich mit einer Hand an der Wand abstützte und dabei mit den Fingern über Meggies alte Filmposter streifte – Der Schrecken vom Amazonas , Yeti, der Schneemensch , Blob – Schrecken ohne Namen . Beim Anblick ihrer buntgezackten Schriftzüge in knalligen Farben kippte Aubrey fast um. Sie hatte sich noch nie zuvor so sonderbar gefühlt, doch sie erkannte, was es sein musste: der Auftakt zu einem Ohnmachtsanfall. Es war einfach alles zu viel für einen Tag.
»Entschuldige, Aub«, sagte Meggie übermäßig laut und mit ausgestreckten Handflächen. »Tut mir echt leid. Ich wollte niemanden erschrecken. Weißt du, ich habe da diese Nachricht gesehen – in ein paar Fäden. Das ist mir noch nie zuvor passiert. Ich dachte erst, ich hätte es mir nur eingebildet. Jedenfalls wusste ich, dass ich so schnell wie möglich herkommen muss, wollte dich aber nicht wecken, also hab ich mich gefragt, ob ich mich vielleicht immer noch einschleichen könnte, so wie früher, weißt du, an der Mauer im Durchgangsweg hochklettern …«
Aubrey hatte sich gegen die Kante des senfgelben Zweisitzers gelehnt, den Meggie als Teenager in ihr Zimmer geschleppt hatte. Langsam ließ sie sich sinken.
»Was hast du?«, fragte Bitty.
Sie hob den Zeigefinger, da sie nicht in der Lage war, zu sprechen. Sie schloss die Augen. In der Strickerei war wieder die übliche Ruhe eingekehrt. Die Gefahr war vorüber. Es schüttelte sie nun am ganzen Leib – kein oberflächliches Zittern ihrer Finger oder Gliedmaßen, sondern ein tiefes Beben, das ihre Eingeweide erschütterte. Als sie die Augen aufschlug, waren Nessa und Carson hereingekommen,und ihre Mutter hielt sie links und rechts umarmt. Meggie stand mit verschränkten Armen und zur Seite geschobener Hüfte an der Tür.
»Aubrey?«, fragte Meggie.
Alle sahen sie an, warteten auf eine Erklärung. All diese Menschen – ihre Familie – waren endlich hier. Doch ohne Mariah.
Sie versuchte zu sprechen, etwas zu sagen, das es wiedergutmachen oder zumindest alle beruhigen würde. Doch als sie den Mund öffnete, kam kein Wort aus ihr heraus. Nur ein Keuchen, gefolgt von einem schrecklichen, dunklen Laut. Sie konnte sich nicht einmal dafür entschuldigen.
»Oh«, entfuhr es Bitty. »Oh, Aubrey.«
Die Tränen, die sich seit Mariahs Tod aufgestaut hatten, kamen nun in dicken, schweren Tropfen hervor, bis Aubrey sich vor Schluchzen krümmte. Sie spürte, wie sich ihre Schwestern neben sie setzten und ihr die Hände auf die Schultern und den Rücken legten, wie das Gewicht ihrer Körper die alten Polster niederdrückte.
Meggies Stimme war sanft. »Ist Mariah … ist Mariah tot?«
Bitty musste genickt haben. Denn plötzlich weinte Aubrey nicht mehr allein. Ihre Schwestern weinten mit ihr, hielten sie fest, während ihre Fäuste Halt in ihrer Kleidung suchten, während sich ihr die Ellbogen und Hüftknochen der beiden in die Seiten bohrten.
Draußen erschien am östlichen Horizont, kaum sichtbar, das erste Licht des Tages.
Kapitel 5
Führe die Nadel zurück
Das Problem war, wie Ruth Ten Eckye es ihrem Strick- und Lesezirkel in der Bibliothek und auch jedem anderen erklärte, dass Mr. Scott – der neue Leiter des diesjährigen Kopfloser-Reiter-Spektakels, der aus einem Collegetheater in Nyack geholt worden war – keinen Respekt vor der Tradition zeigte. In der theatralischen Lesung der »Legende von Sleepy Hollow« hatte bisher, solange man zurückdenken konnte, immer ein männliches Mitglied der Familie Ten Eckye die Rolle des Brom Bones übernommen.
Doch in diesem Jahr hatte der Bühnenemporkömmling die Frechheit gehabt, Broms Part an Tony Pignatelli
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