Die Wuensche meiner Schwestern
zu übergeben, der, wenngleich er durchaus ein »stämmiger, wüster, poltriger Bursche« war, in dem genügend »schelmische gute Laune« steckte, doch niemals einen überzeugenden Brom abgeben würde. Der Held der ganzen Gegend musste ein Ten-Eckye-Junge sein. Kein Pignatelli. Wer hatte denn schon einmal etwas von einem holländischen Pignatelli gehört?
»Mein armer Todd hat diese Rolle verdient – und Tarrytown hat verdient, dass er sie bekommt«, erklärte Ruth Aubrey, als sie am Samstagmorgen in der Strickerei vor ihr stand. Obwohl sich der Regen vom Vortag verzogen hatte und die Sonne das Letzte aus dem Indian Summer herausholte, war Aubrey schlecht gelaunt. Sie hatte zwarschon Aufträge für die Strickerei erledigt, noch bevor sie sich die Schuhe selbst zubinden konnte, doch sie hatte nur selten in direkten Kontakt mit den Kunden treten müssen. Sie seufzte.
Ruth stützte einen Ellbogen auf die Ladentheke und verengte die Augen zu Schlitzen. »Wir Ten Eckyes sind lange genug in dieser Stadt, um zu wissen, was ihr Van Rippers so treibt.«
»Gut«, erwiderte Aubrey. »Was wünschen Sie also?«
»Was ich wünsche?«, gab Ruth zurück. Sie schüttelte verärgert den Kopf. »Was ich wünsche ist, dass Sie etwas stricken, das meinem armen Todd hilft!«
Aubrey verschränkte die Arme und dachte nach. Ruth Ten Eckye war die Ehefrau und Partnerin des verstorbenen Charles Ten Eckye vom Kunst- und Kulturzentrum Ten Eckye gewesen. Die Ten Eckyes besaßen Gebäude in ganz Tarrytown – vor allem Gewerbeimmobilien und Apartments, die die Familie von einer Immobiliengesellschaft verwalten ließ, um sich selbst nicht mit einer solch unwürdigen Aufgabe wie dem Einsammeln von Mieten die Hände schmutzig zu machen.
Ruth hatte zu allen Dingen eine strikte Position, seien es politische, soziale oder ökumenische Fragen. Und für sie schien die Tatsache, dass ein Ten-Eckye-Junge den Brom Bones darstellte, geradezu heilig zu sein; zumindest würde dadurch wieder einmal ihr weit zurückreichender Stammbaum holländischer Landbesitzer sichtbar gemacht und in seiner Überlegenheit bekräftigt. Sie hatte gute Freunde, wo es darauf ankam, und Feinde, wo es ihr passte. Aubrey hatte mitbekommen, wie Ruth den behinderten Jungen angeblafft hatte, der ihr die Einkaufstüten einräumte, und sie wusste, dass Ruth auf der Stelle das Tierheim verständigte, wenn sie eine Katze ohne Halsband fünf Meter entfernt von ihrer Garage entdeckte.
Dennoch fand Aubrey auch Dinge an ihr, die ihr gefielen. Mariah hatte sie gewarnt: Es ist falsch, für einen Menschen zu stricken, den du nicht magst. Zugegeben, Ruth war Teil des Gremiums gewesen, das die Verbannung aller Vampirromane für Jugendliche aus den Regalen der Bibliothek erzwang, doch sie leitete auch das Komitee, das sich um die Kränze auf den Veteranengräbern kümmerte. Die Tafel der Gemeinde befand sich praktisch in ihrer Hand: Die Obdachlosen von Tarrytown speisten wie die Könige. Sie besaß Rückgrat – und das bedeutete etwas. Sie beschützte ihre Familie wie eine Wölfin. Ruth hatte ihre Stärken und Schwächen, wie jeder andere Mensch auch, und das machte sie in Aubreys Augen zu einer ausreichend geeigneten Kandidatin für einen Zauber.
»Haben Sie mit Mr. Scott gesprochen und ihm mitgeteilt, was Sie von seiner Entscheidung halten?«, wollte Aubrey wissen.
»Natürlich habe ich das versucht«, erwiderte Ruth.
»Und mit jemandem an der Schule?«
»Ich habe mit jedem gesprochen. Es gibt keinen anderen Weg. Glauben Sie mir, Aubrey Van Ripper, die Strickerei ist mein letztes Mittel. Mein allerletztes.«
Das ist sie immer, dachte Aubrey.
Die meisten Menschen kamen in die Strickerei, weil sie dem schwachen Hauch eines Gerüchts folgten, der Hoffnung auf eine allerletzte Chance. Normalerweise traten die Kunden schüchtern auf und stellten befangene Fragen, die eigentlich keine Fragen waren, aber so ausgesprochen wurden: Jemand hat mir erzählt, dass Sie hier, ähm, eine einzigartige Wolle haben? Ich habe gehört, dass Sie einen Strickservice anbieten? Ich habe da dieses Problem, und mir wurde gesagt, dass ich mich an Sie wenden soll?
Die Leute kamen in die Strickerei, weil ihnen keine andere Wahl mehr blieb, als ihre Vernunft und Würde aufzugeben, um etwas vollkommen Unwahrscheinliches auszuprobieren.Ruth kam Aubrey in ihrer Verzweiflung wie jemand vor, der einen Zahn unter den Kissen versteckte, um seine Rechnungen bezahlen zu können.
Sie zog ihre Strickjacke enger um sich.
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