Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
vergraben, und grübelte.
Einmal – es war nach dem dritten Begräbnis – brach er in wilde verzweifelte Reden aus, vor denen die Kinder Angst bekamen. „Nein, ich kann es nicht begreifen, warum ein solches Unglück über uns hereingebrochen ist!“ rief er. „Wir haben doch nur eine gute Tat getan, als wir der Kranken halfen. Ist denn das Böse in der Welt mächtiger als das Gute?“ Die Mutter hatte versucht, ihn mit vernünftigen Worten zu trösten; aber es gelang ihr nicht, ihn so ruhig und ergeben zu machen, wie sie selbst war.
Ein paar Tage später hatten sie den Vater verloren. Aber er war nicht gestorben, sondern auf und davon gegangen. Ach, da war gerade die älteste Schwester erkrankt, und diese war von jeher der Liebling des Vaters gewesen! Als er dann sah, daß sie auch sterben mußte, entfloh er dem ganzen Elend. Die Mutter sagte nur, es sei gewiß besser für den Vater, daß er jetzt nicht da sei. Er wäre sonst am Ende noch verrückt geworden. Er grüble sich ja von Sinn und Verstand, wenn er nur immerfort darüber nachgrübelte, obGott es denn zulassen könne, daß ein böser Mensch so viel Unglück auf Erden anrichte.
Nachdem der Vater auf und davon gegangen war, wurden sie sehr arm. Im Anfang hatte er ihnen noch Geld geschickt; aber dann war es ihm wohl selbst schlecht gegangen, denn er schickte nichts mehr. Und an dem Tag, wo die älteste Schwester begraben wurde, schloß die Mutter das Haus zu und verließ mit den beiden letzten Kindern, die ihr noch geblieben waren, die Heimat. Sie ging mit ihnen nach Schonen, weil sie hoffte, dort Arbeit auf den Rübenfeldern zu bekommen, und sie erhielt auch eine Stellung in der Zuckerfabrik zu Jordberga. Die Mutter war eine tüchtige Arbeiterin und hatte ein fröhliches, offenes Wesen. Jedermann hatte sie gern; viele verwunderten sich, daß sie nach allem, was sie durchgemacht hatte, noch so ruhig sein könnte; aber sie hatte ein starkes, geduldiges Herz. Wenn jemand die beiden prächtigen Kinder lobte, erwiderte sie nur: „Sie werden auch bald sterben.“ Und dies sagte sie, ohne daß ihre Stimme zitterte und ohne daß ihr die Tränen in die Augen traten. Sie hatte sich daran gewöhnt, nichts andres mehr zu erwarten.
Aber es kam nicht so, wie sie erwartete. Statt dessen wurde sie selbst krank. Es ging rasch zu Ende mit ihr, noch rascher als mit den kleinen Geschwistern. Im Anfang des Sommers war sie nach Schonen gezogen; und als der Herbst kam, waren die Kinder allein.
Während die Mutter krank lag, sagte sie immer wieder zu ihren Kindern, sie habe nie bereut, daß sie die arme Frau damals bei sich aufgenommen hätten, und das sollten sie niemals vergessen. Denn wenn man recht gehandelt habe, dann sei das Sterben nicht schwer. Alle Menschen müßten sterben, dem Tode könne keiner entrinnen; das aber habe man selbst in der Hand, ob man mit einem guten oder einem schlechten Gewissen sterben müsse.
Ehe die Mutter starb, suchte sie noch einigermaßen für die Kinder zu sorgen. Sie bat die Leute, bei denen sie wohnte, sie möchten die Kinder doch in der Kammer, wo sie alle drei zusammen gewohnt hätten, auch ferner verbleiben lassen. Wenn die Kinder nur einen Aufenthaltsort hätten, würden sie niemand zur Last fallen; sie könnten sich selbst versorgen, das wisse sie. Die Kinder durften dann wirklich die Kammer behalten; sie mußten aber dafür die Gänse hüten, denn für diese Arbeit findet man nur schwer die richtigen Kinder. Es ging dann wirklich, wie die Mutter gesagt hatte: die beiden Kinder sorgten selbst für ihren Unterhalt. Das kleine Mädchen konnte Hustenzucker kochen, und der Junge konnte aus Holz allerlei Spielzeug verfertigen, das er ringsum auf den Höfen verkaufte. Die Kinder hatten Handelstalent, und nach einiger Zeit fingen sie an, bei den Bauern Eier und Butter aufzukaufen, die sie dann wieder an die Arbeiter der Zuckerfabrik verkauften. Sie waren sehr ordentlich und pünktlich, und man konnte ihnen alles anvertrauen, was es auch immer sein mochte. Das Mädchen war das ältere von den beiden, und mit dreizehn Jahren war sie schon so zuverlässig wie ein Erwachsenes. Sie war still und ernst, aber der Junge war redselig und lustig, und dieSchwester sagte immer von ihm, er schnattere mit den Gänsen auf der Wiese um die Wette.
Als die Kinder zwei Jahre auf Jordberga gewohnt hatten, wurde eines Abends in der Schule ein Vortrag gehalten. Der Vortrag war zwar eigentlich nur für Erwachsene bestimmt, aber die beiden småländischen
Weitere Kostenlose Bücher