Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
Kinder saßen auch unter den Zuhörern; die Kinder selbst rechneten sich gar nicht zu den Kindern, ja die Erwachsenen taten es kaum. Der Redner sprach von jener traurigen Krankheit, der Tuberkulose, die jedes Jahr so viele Menschen in Schweden zum Opfer fordere. Er sprach sehr klar und leicht verständlich, und die Kinder verstanden jedes Wort.
Nach dem Vortrag blieben sie vor der Schule stehen und warteten. Als der Redner aus dem Hause trat, faßten sie einander bei der Hand, schritten feierlich auf ihn zu und fragten ihn, ob sie etwas mit ihm besprechen dürften.
Der Redner schaute wohl ein wenig verwundert drein, als er diese beiden Kinder sah, die da vor ihm standen mit ihren runden, rosigen Kindergesichtern und mit einem Ernst sprachen, der dreimal so alten Leuten angestanden hätte; aber er hörte sie doch sehr freundlich an.
Die Kinder erzählten, was sie daheim erlebt hatten, und fragten dann den Redner, ob er glaube, daß ihre Geschwister und die Mutter an der Krankheit gestorben seien, die er eben in seinem Vortrag beschrieben habe. Ja, das sei sehr wahrscheinlich, antwortete der Redner. Es könnte wohl kaum eine andere Krankheit gewesen sein.
Die Kinder fragten weiter: Wie, wenn nun Vater und Mutter das, was die beiden Kinder an diesem Abend erfahren hatten, damals schon gewußt und sich in acht genommen hätten, wenn sie die Kleider der Kranken verbrannt und auch das Bett nicht mehr benutzt hätten, – wären dann vielleicht alle die noch am Leben, um die sie jetzt trauern müßten?
Der Redner antwortete, das könne niemand ganz bestimmt sagen, aber er könne sich wohl denken, daß keines von ihren eigenen Angehörigen hätte zu sterben brauchen, wenn sie es verstanden hätten, sich vor der Ansteckung zu hüten.
Jetzt zögerten die Kinder ein wenig, ehe sie ihre nächste Frage vorbrachten; aber sie rührten sich nicht von der Stelle, denn die Frage, die sie jetzt beantwortet haben wollten, war die allerwichtigste. Schließlich kam die Frage heraus: Ob es dann nicht wahr sei, daß die Zigeunerin die Krankheit über sie herabbeschworen habe, weil sie der armen Frau, auf die das Zigeunerweib seinen Haß geworfen hatte, geholfen hätten? Ob es nicht ein Fluch gewesen sei, der sie getroffen habe?
Nein, das sei durchaus nicht der Fall gewesen, erwiderte der Redner, das könne er ihnen getrost versichern. Kein Mensch habe die Macht, auf solche Weise eine Krankheit über einen andern zu bringen. Und sie wüßten ja, daß sich die Krankheit im ganzen Lande in fast allen Häusern eingenistet habe, obgleich sie nicht überall so viele weggerafft habe wie bei ihnen.
Hierauf bedankten sich die Kinder und gingen miteinander nach Hause.
Am nächsten Tage aber erschienen die Kinder bei ihrem Brotherrn undkündigten ihre Stelle. Sie sagten, sie könnten in diesem Jahre die Gänse nicht hüten, sie müßten wo anders hin. Ja, wohin sie denn wollten? fragte er. Sie müßten ausziehen und ihren Vater suchen, lautete die Antwort, denn sie müßten ihm sagen, daß die Mutter und die Geschwister an einer gewöhnlichen Krankheit gestorben seien, und nicht an einem Fluche, den böse Menschen auf sie herabbeschworen hätten. Sie seien selbst so froh darüber, daß sie dies erfahren hätten; aber deshalb hielten sie es jetzt für ihre Pflicht, es ihrem Vater mitzuteilen, denn er grüble gewiß noch bis zu diesem Tage darüber nach.
Zuerst begaben die Kinder sich in ihre alte Heimat auf der Heide bei Sunnerbo, und als sie dort ankamen, stand zu ihrer großen Verwunderung das Häuschen in hellen Flammen.
Hierauf gingen sie ins Pfarrhaus, und da erfuhren sie, daß ein Mann, der bei der Eisenbahn beschäftigt war, ihren Vater bei Malmberget hoch droben in Lappland gesehen habe.
Damals habe er in den Erzgruben gearbeitet, und er tue das vielleicht noch, aber ganz sicher sei es nicht. Als der Pfarrer hörte, daß die Kinder ausziehen wollten, ihren Vater zu suchen, holte er eine Landkarte herbei, zeigte ihnen darauf, wie weit es nach Malmberget war, und riet ihnen von der Reise ab. Aber die Kinder sagten, es sei durchaus notwendig, sie müßten versuchen, ihren Vater zu finden. Er sei aus seiner Heimat geflohen, weil er etwas geglaubt habe, was sich gar nicht so verhalten hätte, und nun müßten sie ihm sagen, daß er sich getäuscht habe.
Die Kinder hatten sich von ihrem Handel etwas Geld erspart; aber sie wollten es lieber nicht für die Eisenbahn ausgeben, und so entschlossen sie sich, zu Fuß zu gehen. Und sie bereuten
Weitere Kostenlose Bücher