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Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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genug, er mußte sogleich auch daran denken, wie es ihm wohl nachher selbst gehen würde: Ob er Gewissensbisse bekäme, weil er dem Weib nicht geholfen hatte, ob die Leute erführen, daß er ihr begegnet war und sie im Stiche gelassen hatte?
    In seiner Brust entspann sich ein großer Streit, und er sagte sich schließlich: ‚Es wäre mir viel lieber, ich wäre ihr gar nicht begegnet!‘
    In diesem Augenblick stießen die Wölfe ein lautes Geheul aus. Das Pferd schreckte zusammen, fuhr wild davon und jagte an dem Bettelweib vorüber. Sie hatte das Wolfsgeheul auch gehört, und als der Bauer an ihr vorübersauste, las er in ihrem Gesicht, daß sie wußte, was ihr bevorstand. Sie stand da, den Mund zu einem Schrei geöffnet und die Arme um Hilfe ausgestreckt, aber sie hatte weder geschrien noch einen Versuch gemacht, sich auf den Schlitten zu werfen. Sie mußte von irgendeiner Erscheinung wie versteinert worden sein.
    ‚Ich habe wohl wie ein böser Geist ausgesehen, als ich an ihr vorüberfuhr,‘dachte der Bauer, und er versuchte, sich jetzt, wo er seines Lebens sicher sein konnte, zufrieden zu fühlen. Aber in demselben Augenblick begann es in seiner Brust zu arbeiten und zu brennen. Er hatte noch nie etwas Böses getan, und nun hatte er in einem einzigen Augenblick sein Leben verdorben. ‚Nein, es mag gehen, wie es will!‘ rief er plötzlich und hielt das Pferd an. ‚Ich kann sie nicht mit den Wölfen allein lassen.‘
    Nur mit großer Mühe gelang es ihm, das Pferd zu wenden; aber schließlich brachte er es doch zustande, und er hatte die Finnen-Malin bald wieder erreicht.
    ‚Steige schnell in meinen Schlitten!‘ befahl er ihr in barschem Ton; denn er war wütend über sich selbst, weil er das Weib nicht seinem Schicksale überlassen konnte. ‚Du tätest auch besser, daheim zu bleiben, anstatt dich immer herumzutreiben, du alte Hexe,‘ fuhr er fort, ‚jetzt werden wir beide deinetwegen umkommen, der Rappe und ich.‘
    Das Weib erwiderte kein Wort, aber der Bauer war jetzt in einer so verzweifelten Stimmung, daß er sie nicht schonen konnte. ‚Der Rappe ist heute schon fünf Meilen gelaufen, da wirst du begreifen, daß er bald ermattet sein wird. Und die Last ist nicht leichter geworden, seit du dazu gekommen bist.‘
    Die Schlittenkufen knirschten auf dem Eis; aber trotzdem vermeinte er zu hören, wie die Klauen der Wölfe hinter ihm aufschlugen, und er fühlte, daß die Raubtiere ihn nun eingeholt hatten.
    ‚Jetzt ist es aus mit uns,‘ sagte er. ‚Daß ich dich zu retten versucht habe, ist weder dir noch mir gut bekommen, Finnen-Malin.‘
    Erst jetzt sprach das Weib ein paar Worte. Vorher hatte sie nur geschwiegen, wie jemand, der an Scheltworte gewöhnt ist.
    ‚Ich kann nicht verstehen, warum du deine Gefäße nicht abladest und die Last erleichterst,‘ sagte sie. ‚Du kannst ja morgen früh wiederkommen und sie zusammenlesen.‘
    Der Bauer verstand, welch ein kluger Rat das war, und war nur höchst erstaunt, daß er nicht selbst daran gedacht hatte. Er übergab dem Weib die Zügel, löste den Strick, der die Gefäße zusammenhielt, und begann eifrig, sie abzuladen. Die Wölfe jagten schon neben dem Schlitten her, hielten aber jetzt an, um zu untersuchen, was da aufs Eis flog, und dadurch bekamen die Reisenden wieder einen kleinen Vorsprung.
    ‚Wenn das nicht hilft, werde ich mich selbstverständlich den Wölfen ausliefern, damit du entkommst,‘ sagte die Finnen-Malin.
    Als sie dies sagte, war der Bauer eben dabei, einen großen schweren Braubottich vom Schlitten hinabzustoßen. Aber plötzlich hielt er inne, als wenn er sich nicht entschließen könnte, diesen abzuladen. In Wirklichkeit jedoch waren seine Gedanken von etwas ganz anderem in Anspruch genommen. ‚Ein Pferd und ein Mann, denen gar nichts fehlt, sollten doch eigentlich nicht gezwungen sein, sich wegen einer alten Frau von den Wölfen fressen zulassen,‘ dachte er. ‚Es muß doch wohl noch einen Ausweg zur Rettung geben. Ja, ganz sicher gibt es einen; der Fehler ist nur, daß ich ihn nicht herausfinden kann.‘
    Schließlich schob er wieder an dem Braubottich; doch plötzlich hielt er wieder an und brach in lautes Lachen aus.
    Das Weib sah ihn erschreckt an und fragte sich, ob er verrückt geworden sei; aber der Bauer lachte nur über sich selbst, weil er bisher so dumm gewesen war.
    Jetzt wußte er, was er tun mußte; es war das einfachste von der Welt, und er konnte gar nicht begreifen, daß es ihm nicht früher eingefallen

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