Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
Vom Netzwerk:
Lockvogel!“ sah er auf einmal ein Tauchernest daherschwimmen. Dies war nun nichts besonders Merkwürdiges; es war ein Nest vom vorigen Jahre, und da die Tauchernester so gebaut sind, daß sie wie Boote auf dem Wasser schwimmen können, treibt häufig eines auf den See hinaus. Aber Jarro blieb doch stehen und betrachtete es, denn es schwamm geradeswegs auf den Holm zu, als ob es jemand über das Wasser steuere.
    Als es näher kam, sah Jarro, daß ein kleiner Mensch, der kleinste, den er je gesehen hatte, in dem Nest saß und mit zwei Stäbchen ruderte. Und dieses Menschlein rief ihm zu: „Komm so nahe ans Wasser heran, als du kannst, Jarro, und halte dich zum Fliegen bereit! Du wirst bald befreit werden.“
    Einige Augenblicke später lag das Nest am Land, aber der kleine Ruderer verließ es nicht, sondern saß ganz still zwischen Zweigen und Halmen verborgen. Jarro verhielt sich auch beinahe regungslos. Der Gedanke, frei zu werden und seinem Unglück entfliehen zu können, hatte ihn förmlich gelähmt.
    Das nächste, was geschah, war, daß eine Schar Wildgänse daherflog. Da kam Jarro wieder zu sich, und er warnte sie mit lauten Rufen; aber dessenungeachtet flogen sie mehrere Male über dem Holm hin und her. Sie hielten sich so hoch in der Luft, daß sie außer Schußweite waren; aber der Knecht ließ sich trotzdem verleiten, ein paar Schüsse auf sie abzugeben. Kaum waren diese abgefeuert, als der kleine Knirps auf und ans Land sprang, ein kleines Messer aus der Scheide zog und mit einem raschen Schnitt Jarros Schlinge löste. „Flieg nun davon, Jarro, ehe der Knecht wieder geladen hat!“ rief er, während er selbst in das Nest zurücksprang und vom Lande abstieß. Der Jäger hatte die Augen auf die Gänse gerichtet und daher nicht gemerkt, daß Jarro befreit worden war. Aber Cäsar hatte besser acht gegeben, und gerade als Jarro die Flügel hob, stürzte er herbei und packte ihn im Nacken.
    Jarro schrie zum Erbarmen, aber der Knirps, der ihn befreit hatte, sagte mit der größten Ruhe zu Cäsar: „Wenn deine Gesinnung so edel ist wie dein Aussehen, so kannst du nicht jemand bei einer so gemeinen Beschäftigung, ein Lockvogel zu sein, zurückhalten wollen.“
    Als Cäsar diese Worte hörte, grinste er boshaft mit der Oberlippe, aber nach einem Augenblick ließ er Jarro los. „Flieg, Jarro!“ sagte er. „Du bist wirklich zu gut zu einem Lockvogel. Ich wollte dich auch nicht deshalb zurückhalten, sondern weil die Stube ohne dich so leer sein wird.“

Die Trockenlegung des Sees
    Mittwoch, 20. April
    In der Bauernstube war es wirklich sehr leer, als Jarro nicht mehr da war. Dem Hund und der Katze wurde die Zeit lang, weil sie sich nicht mehr miteinander über ihn streiten konnten, und die Hausfrau vermißte das fröhliche Geschnatter, das Jarro angestimmt hatte, so oft sie ins Zimmer trat. Am meisten Heimweh nach ihm hatte aber doch der kleine Junge Per Ola. Per Ola war erst drei Jahre alt und überdies das einzige Kind, und er hatte noch nie einen so guten Spielkameraden gehabt wie Jarro. Als man Per Ola sagte, Jarro sei zu den andern Enten auf den Tåkern zurückgekehrt, wollte er sich mit dieser Nachricht nicht zufrieden geben, sondern dachte immerfort darüber nach, wie er wohl den guten Jarro wieder bekommen könnte.
    Per Ola hatte sehr oft mit Jarro geplaudert, während dieser in seinem Korb lag, und das Kind war fest überzeugt, daß ihn der Erpel immer verstanden habe. Er bat die Mutter, mit ihm an den See hinunterzugehen, denn er wolle Jarro aufsuchen und ihn überreden, wieder zu ihnen zu kommen. Die Mutter wollte davon nichts hören, aber deshalb gab Per Ola sein Vorhaben nicht auf.
    Am Tag, nachdem Jarro verschwunden war, spielte Per Ola draußen im Garten. Wie gewöhnlich spielte er ganz allein; aber Cäsar lag auf der Treppe, und als die Mutter Per Ola herausgebracht hatte, hatte sie zu dem Hunde gesagt: „Gib auf Per Ola acht, Cäsar!“
    Wenn nun alles wie sonst gewesen wäre, hätte Cäsar auch dem Befehl Folge geleistet. Per Ola wäre gut bewacht gewesen und keinerlei Gefahr gelaufen. Aber in diesen Tagen war Cäsar gar nicht er selbst. Er wußte, daß die Bauern, die um den Tåkern herum wohnten, wegen der Trockenlegung des Sees verhandelt hatten, und daß die Sache beinahe so gut wie beschlossen war. Die Enten müßten also fortziehen, und Cäsar würde nie mehr ehrlich und ordentlich Jagd auf sie machen können. Der Gedanke an dieses Unglück beschäftigte den Hund vollständig, und er

Weitere Kostenlose Bücher