Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran
schien völlig in Gedanken versunken. Beim Eintreten des Kapitäns machte er ihm mit der Hand ein Zeichen, sich neben ihm niederzulassen. Dann befahl er dem Sklaven, sich zurückzuziehen.
„Mein verehrter Gast“, sagte er nach einer Weile des Schweigens, „kennt das Unglück, das soeben über mich hereingebrochen ist?“
„Man hat es mir berichtet“, antwortete Corcoran. „Rao ist entflohen; aber das ist doch kein Unglück. Rao ist eben ein Spitzbube, der sich woanders verdingen will.“
„Ja, aber er hat zweihundert Reiter aus meiner Garde mit sich genommen, und die sind ebenfalls zu den Engländern übergelaufen.“
„Hm, hm“, meinte Corcoran nachdenklich.
Und da er merkte, daß Holkar durch diesen Vorfall mehr als niedergeschmettert war, hielt er es für seine Franzosenpflicht, ihm wieder Mut zu machen.
„Na schön“, sagte er lächelnd, „alles in allem sind das zweihundert Verräter weniger. Oder hättet Ihr vorgezogen, daß sie hier in Bhagavapur, direkt an Eurer Seite, geblieben wären anstatt zu Colonel Barclay überzulaufen?“
„Sie haben gut reden!“ sagte Holkar. „Dabei habe ich vor einer Stunde so gute Nachrichten erhalten.“
„Von diesem Tantia Topee?“
„Genau, von ihm. Hören Sie, Kapitän, nach allem, was Sie für mich getan haben, vor allem gestern abend, will ich Ihnen gegenüber ganz offen reden…, also, ganz Indien steht bereit, um zu den Waffen zu greifen.“
„Wozu?“
„Um die Engländer zu verjagen.“
„Ahhhh!“ rief Corcoran aus. „Das leuchtet mir ein! Eine vernünftige Idee! Die Engländer verjagen…, das heißt, Fürst Holkar, wenn sie in meine alte Bretagne gekommen wären, diese Engländer, wie sie hierhergekommen sind, dann würde ich sie nacheinander am Hals und an der Hose packen und sie als Fischfutter ins Meer werfen. Die Engländer verjagen! Aber dafür bin ich auch, Fürst Holkar, aber sicher wäre ich dafür, wenn ich Sie wäre, und ich geb Euch mein Wort darauf… Die Engländer verjagen. Also gut! Ich vergesse meine wissenschaftlichen Arbeiten und den Brief von Sir William Barrowlinson… Und mein Versprechen, mich nicht in innere Angelegenheiten einzumischen, solange ich mich zwischen Himalaja und Kap Komorin befinde, ist mir egal. Eine famose Idee. Und von wem stammt diese Idee?“
„Von allen“, erwiderte Holkar. „Von Tantia Topee, von Nana Sahib, von mir, schließlich von allen Indern.“
„Und Ihr glaubt, das Vorhaben könnte gelingen?“
„Wir hoffen es wenigstens“, sagte Holkar, „aber ich fürchte, ich selbst werde es nicht mehr erleben. Vor drei Monaten war dieser Rao noch mein Premierminister, und jetzt verrät er mich an Colonel Barcley, in der Hoffnung, als Preis für seinen Verrat meinen Staat und meine Tochter zu bekommen. Da ich ihn schon lange in Verdacht hatte, habe ich ihm neulich zur Abschreckung fünfzig Stockschläge verabreichen lassen. Das ist nun daraus geworden…“
„‘Daraus geworden’! Dieser schleimige Wicht hoffte Euer Schwiegersohn zu werden!“ entrüstete sich der Kapitän.
„Ja, dieser Sohn einer Hündin – sein Vater war ein Parsenhändler aus Bombay – wollte die Tochter des letzten der Raghuiden, des edelsten Geschlechts in Indien, ehelichen.“
Bei diesen Worten wurde der Kapitän hellhörig. Bis jetzt hatte er nur einen Wunsch gehabt: Rao wieder zu ergreifen… Aber dieser Schurke erdreistete sich, Sita zu begehren, das schönste Mädchen in ganz Indien…, ein Engel an Anmut, Schönheit, Unschuld… Diesen Rao sollte man nicht nur pfählen, sondern obendrein auch noch hängen…
Das waren in etwa die Gedanken des Kapitäns. Und wer sich über das Interesse wundern sollte, das er diesem jungen Mädchen entgegenbrachte, von dem er am Abend zuvor weder Namen gewußt noch das Gesicht gesehen hatte, dem sei gesagt, daß er ein Mann spontaner Gefühlsregungen war, daß er Abenteuer liebte (ohne ein Abenteurer zu sein) und daß es ihm ganz und gar nicht mißfiel, eine junge und schöne Prinzessin zu beschützen, die bedroht wurde. Vor allem dann, wenn diejenigen, die sie bedrohten, Engländer waren.
„Fürst Holkar“, sagte er schließlich, „es gibt nur einen Ausweg. Wir müssen unsere Rhinozerosjagd auf einen anderen Tag verschieben und Rao, koste es, was es wolle, verfolgen. Der Schurke kann noch nicht weit gekommen sein.“
„Daran habe ich auch schon gedacht“, meinte Holkar, „aber er hat acht Stunden Vorsprung und wird zweifellos schon bei der englischen Armee
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