Die Wunderheilerin
sie fragend an. «Wärst du lieber etwas anderes? Fühlst du dich zu den Papstgetreuen hingezogen?»
Priska hob die Schultern. «Ich fühle mich weder lutherisch noch päpstisch. Für mich bin ich weder das eine noch das andere. Aber wenn die Leute meinen, mich zu den Lutheranhängern zählen zu müssen, dann werde ich nichts dagegen tun können.»
«Gefällt dir nicht, was der Wittenberger sagt?»
Sie waren inzwischen in der Klostergasse angekommen. Priska nahm den schwarzen Umhang von den Schultern und hängte ihn an einen Haken hinter der Tür, schlüpfte aus den Lederschuhen und hinein in ihre Holzpantinen, die sie zu Hause trug.
«Woher will Luther das alles wissen?», fragte sie dann.
«Was meinst du?»
«Luther sagt, dass der Papst nicht die Allmacht der christlichen Kirche ist. Wer aber ist es dann? Und woher weiß Luther dies? Der Papst wiederum sagt, er sei das Oberhaupt der christlichen Kirche, der Vertreter Gottes auf Erden.Einer sagt dies, der andere sagt das. Woher soll ich, die Henkerstochter Priska, wissen, wer Recht hat? Und wie soll ich da entscheiden, ob ich Luther oder dem Papst anhänge? Woher weißt du, Adam, was richtig ist?»
«Auch ich weiß nichts, Priska. Aber Luthers Worte beruhen auf dem, was er in Rom, in Erfurt, in Wittenberg erlebt hat. Fest steht, dass die Kirche sich bereichert. Fest steht, dass viele Geistliche nicht nach dem Gesetz der Heiligen Schrift leben. Nun, wenn ich dem Wittenberger da Glauben schenken kann, warum soll ich ihm in anderer Hinsicht misstrauen? Luther scheint mir ein Menschenfreund zu sein. Der Papst aber ist in erster Linie ein Freund seiner selbst.»
Priska runzelte die Stirn und wiederholte: «Ich bin weder das eine noch das andere. Ich bin Priska. Und ich glaube an Gott, an Jesus Christus und an den Heiligen Geist.»
Adam lächelte. «Und außerdem glaubst du noch daran, dass der Mensch sich selbst seinen Platz suchen kann, nicht wahr?»
Priska schüttelte den Kopf. «Da bin ich mir noch nicht so sicher.»
Am nächsten Tag war Eva verschwunden. «Das Haus ist leer, doch ihre Kleider sind alle noch da. Die Magd sagte nur, dass sie am Morgen das Haus verlassen hat und sich vorher Asche ins Gesicht und auf das Haar gestreut hätte», stammelte der Priester, der ganz verzweifelt im Haus in der Klostergasse ankam.
«Meint Ihr, sie wird sich das Leben …»
Priska fuhr sich mit der Hand an die Kehle.
Der Priester zuckte ratlos mit den Achseln.
«Wir müssen sie suchen», erklärte Adam. «Zuerst gehen wir an jedes Stadttor und fragen dort nach ihr. Dann sehen wir weiter.»
«Und deine Kranken?», fragte Priska.
«Auch Eva ist krank. Ihre Seele leidet unsägliche Qual. Sie braucht mich jetzt am dringendsten.»
Zwei Stunden später trafen sie sich wieder. Keine Spur von Eva. Niemand hatte sie gesehen, keinem der Torwächter war sie aufgefallen. Das allerdings war nicht verwunderlich, denn in den Morgenstunden herrschte großes Gedränge. Doch sie war auch nirgendwo anders zu finden. Nicht an den Flussufern, nicht in den Auen und nicht bei der Lechnerin, die Priska zwar die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte, aber ihre Bestürzung nicht hatte verbergen können.
«Was nun?», fragte Johann von Schleußig und sah aus, als würde er am liebsten in Tränen ausbrechen.
«Ich weiß es nicht», erwiderte Adam ratlos.
Priska hörte den Männern nicht zu. Wo bist du, Eva?, fragte sie in Gedanken. Was würde ich tun, hätte mir einer meine kleine Nora genommen?
Plötzlich wusste sie, wo sie Eva finden würde. Doch die Männer würden dafür kein Verständnis haben. Sie musste sie allein aufsuchen.
«Ich wollte heute hinaus ins Dorf Zschocher reiten», sagte sie so leichthin wie möglich. «Es gibt dort eine Kräuterfrau, die über die Gabe verfügt, aus Mutterkorn ein Mittel für die Frauen herzustellen. Ich wollte ihr ein wenig davon abkaufen.»
Die Männer hörten ihr zerstreut zu. «Nimm ein Pferdaus dem Mietstall, der gleich um die Ecke ist», empfahl Adam. «Und pass gut auf dich auf. Komm vor dem Abendläuten zurück.»
«Ja, ich werde pünktlich zurück sein», versprach Priska, drückte Johann von Schleußig die Hand und machte sich auf den Weg zum Mietstall.
Sie ritt allerdings nicht aus dem Peterstor hinaus, sondern verließ die Stadt durch das Grimmaische Tor. Dann trieb sie das Pferd an, so schnell sie konnte. Trotzdem brauchte sie fast zwei Stunden, ehe sie Zuckelhausen erreicht hatte. Sie band das Pferd bei einem Bach an einen
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