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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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bereichern.»
    «Aber warum Aurel? Warum ausgerechnet er? Er hat doch nichts getan! Warum hat Gott das zugelassen?», rief Priska erneut, doch Johann von Schleußig zuckte nur mit den Schultern.
    Am Stadttor kamen sie ungehindert durch. Einer derTorwächter riss sein Barett vom Kopf, der andere bekreuzigte sich. Auf der Grimmaischen Straße, die sie langsam entlangritten, wichen ihnen die Leute aus. Einige schlugen das Kreuzzeichen, zwei Frauen brachen in Tränen aus, ein Mann schüttelte den Kopf. «Was ist geschehen?», rief er. «Stimmt es, dass es in Zuckelhausen einen Aufstand gegeben hat?»
    Johann von Schleußig betrachtete den Mann flüchtig und nickte ihm zu.
    Dann, sie hatten den Markt fast erreicht, trafen sie Ute Lechner. Als sie die Reiter sah, blieb sie wie angewurzelt stehen. Mit großen, vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sah sie auf das tote Kind ihrer ehemals besten Freundin, dann zeigte sie mit dem Finger darauf und schrie: «Seht, das kommt davon, wenn man dem Ketzer Luther anhängt. Seine Lehre bringt Unheil und Tod! Hütet Euch, Ihr Leute, hütet Euch, und schützt Eure Kinder vor dem Dämon aus Wittenberg!»
    «Seid still», fauchte Priska. «Ist der Tod des Jungen nicht schlimm genug?»
    «Verdient ist er, der Tod! Seine Mutter ist schuld daran. Sie hätte sich von den Lutheranern fern halten sollen! Gestorben ist das Kind deshalb.»
    Priska wollte etwas Scharfes erwidern, doch dann sah sie, dass der Lechnerin die Tränen über das Gesicht rannen und dass sie am ganzen Körper wie Espenlaub zitterte. Priska begriff und wandte sich ab.
    Wenige Minuten später hatten sie das Haus in der Hainstraße erreicht. Eine Menge Schaulustiger hatte sich eingefunden und beglotzte den Leichnam. «Was ist passiert?», fragten die Leute erneut.
    Der Priester setzte an, etwas zu sagen, doch er brachtekein Wort hervor. Schließlich seufzte er nur ganz tief, dann schüttelte er den Kopf und sagte leise: «Geht nach Hause, Leute. Oder wollt Ihr Euch etwa am Leid anderer ergötzen?»
    Bärbe öffnete die Tür. Als sie den toten Jungen in Adams Armen sah, brach sie in Wehklagen aus. «Ich habe es gewusst», schrie sie. «Dieses Haus ist verhext! Unheil hängt über dem Dach. Schon bei seiner Geburt habe ich es gewusst. Und die Hebamme hat Recht gehabt. Schon damals hat sie seinen Tod gesehen!»
    «Halt den Mund!», herrschte Adam die Magd an, die mit beiden Händen ihren Rosenkranz umklammerte und mit sensationslüsternen Blicken um sich sah.
    Priska hielt die Luft an, als sie Eva durch den dunklen Flur herbeieilen sah. Am liebsten wäre sie ihr entgegengegangen, hätte sie in den Arm genommen, ihr die Augen verschlossen vor Aurels Anblick, die Ohren taub gemacht vor dem Gerede der Leute und vor dem Lamento der Magd. Doch sie blieb stehen, als wäre sie angenagelt.
    Eva betrachtete mit unbewegtem Gesicht ihren toten Sohn, dann nickte sie, als hätte sie seinen Tod bereits geahnt, und sagte mit fester Stimme: «Bring ihn nach oben, Adam, und leg ihn auf das Bett. Du aber, Bärbe, geh zur Leichenwäscherin. Sie soll kommen und ihn fertig machen. Morgen will ich ihn beerdigen.»
    Dann bat sie die anderen ins Haus, als wären sie lang erwartete Gäste. Sie ging Adam nicht hinterher, sondern lief in die Küche. «Was möchtet ihr trinken? Ihr müsst durstig sein nach dem Ritt. Wasser? Milch? Bier? Wein?»
    Hektisch öffnete sie die Tür zur Vorratskammer, holte einen Weinkrug heraus, griff nach einem Becher.
    Priska nahm ihr die Sachen vorsichtig ab, stellte sie auf den Tisch, trat dann zu Eva. «Möchtest du, dass ich heute bei dir bleibe?», fragte sie.
    Eva sah sie erstaunt an. «Warum denn? Nein, nein, geh nach Hause. Geht ruhig alle nach Hause. Es ist schon spät. Du musst für Adam das Abendmahl bereiten.»
    Ihre Worte kamen über die Maßen ruhig und gelassen, auf ihrem Gesicht lag ein freundliches Lächeln, bei dessen Anblick es Priska grauste.
    Sie wechselte einen Blick mit Johann von Schleußig. Der Mann stand hilflos neben ihr, die schwarze Kutte voller dunkler Flecke. Seine Blicke hingen an Eva, die Arme hielt er halb erhoben, als fürchte er, sie würde jeden Augenblick umfallen.
    Adam kam von oben herunter. Er wusch sich die Hände und achtete dabei darauf, dass Eva nicht sah, wie sich das Wasser hellrot verfärbte.
    Als er sich die Hände abgetrocknet hatte, machte er Anstalten, Eva in den Arm zu nehmen. Da verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Sie wurde bleich, wächsern beinahe, und ihre Züge

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