Die Wunderheilerin
gebraucht habe. Das ist viel, Priska, sehr viel. Aber ob es Liebe ist, das weiß ich nicht. Nun aber bin ich zu weit schon vom Leben entfernt, als dass ich lieben könnte.»
Priska stand auf. Sie hatte begriffen, dass sie Eva nicht umstimmen konnte.
«Hast du alles, was du brauchst?», fragte sie.
Eva nickte. «Ich habe ein wenig Geld dabei. Es wird für Essen und Trinken reichen.»
«Ich komme wieder», versprach Priska.
«Ja, bitte komm. Aber schwöre, dass du niemandem sagst, wo ich bin.»
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Auf dem Rückweg dachte Priska noch lange über Eva nach. War es richtig, sie allein zu lassen? Sollte sie mit Adam darüber sprechen? Oder gar mit Johann von Schleußig?
Doch was würde es nützen? Eva suchte nicht den Tod. Nein, ihr ging es darum, einen Weg aus dem Leid zu finden. Und Johann von Schleußig konnte ihr dabei nicht helfen. Vielleicht, wenn er bereit wäre, die Mönchskutte samt Priesterweihe an den Nagel zu hängen und sich um Eva zu kümmern, ganz für sie da zu sein, dann wäre es etwas anderes. Dann würde sie ihm verraten, wo er Eva finden konnte. Doch davon war er noch weit entfernt. Er lebte für die neue Zeit, für Luthers Lehren. Eva würde bei ihm bestimmt nicht den Halt finden, den sie im Moment brauchte.
Als ihr eine Gruppe von Mägden in den Auen begegnete, fiel ihr Regina ein. Sie hatte seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen. Manchmal sah sie sie von weitem, erschrak über ihr Aussehen, über ihr Mundwerk. Roh war sie geworden, hatte ein Maul wie ein Waschweib und war stets bereit, sofort und bei jeder Gelegenheit loszukeifen. Dietmar, ihr Mann, war kurz vor der Geburt des zweiten Kindes vollkommen überraschend gestorben, und Priska hatte sich damals gefragt, wem dieser plötzliche Tod wohl gelegen kam. Seither lebte Regina mit ihren beiden Kindernallein. Sie war immer noch Magd im Hause des Goldschmieds. Armut schien sie nicht zu leiden, doch ihr Gesicht war griesgrämig mit schmalen Lippen und zusammengekniffenen Augen.
Wenn sich die Blicke der Schwestern auf dem Markt oder beim Kirchgang trafen, dann erschrak Priska über den Hass, der in Reginas Augen stand.
Priska seufzte. Regina würde sich wohl nie ändern. Gott sei Dank stand die nächste Messe vor der Tür. Schon morgen würde Aron kommen, und sie würde bei ihm Trost finden.
Am nächsten Morgen nahm sie in aller Herrgottsfrühe ihren Umhang und eilte zur Waage. Vielleicht war Aron ja schon da, denn der erste Weg eines jeden Händlers führte dorthin. Das Gedränge, das zu Beginn der Messe hier herrschte, war unbeschreiblich. Jeder Karren, jedes Fuhrwerk mussten ihre Waren an der Waage wiegen lassen, bevor sie zum Verkauf freigegeben wurden. Priska sah Menschen in fremder Kleidung, elegante Herren, vornehme Damen, die in teuerste Spitze gehüllt waren. Sie hörte italienische, spanische, polnische und sogar russische Satzfetzen, roch die seltensten Gerüche und war glücklich, über all das Leben und Treiben hier, welches ihr die baldige Ankunft ihres Geliebten versprach. Aron ließ jedoch auf sich warten. Erst zur Mittagszeit erblickte sie seine vertrauten Umrisse. Er hatte sich in einer winzigen, aber sauberen Herberge ein Zimmer genommen.
«Wie geht es meiner kleinen Nora?», war die erste Frage, die er Priska stellte, und nahm sie lachend in den Arm.
«Groß ist sie geworden. Lesen und schreiben hat sie gelernt.Oh, Aron, sie wird dir immer ähnlicher. Sie hat dein Haar, deine Augen, deinen Mund.»
Als alle Worte gesagt waren, badeten sie einander in Zärtlichkeiten, wurden zu einem Leib, zu einem Herz, zu einer Seele. Sie sättigten und labten sich aneinander, wanden sich umeinander, versanken ineinander und kehrten Hand in Hand, Seite an Seite in die Welt zurück.
Priska hatte den Kopf auf Arons Brust gelegt, lauschte seinem Herzschlag. Ihre Wangen waren noch erhitzt, das Haar klebte feucht im Nacken, der Atem ging schnell.
Sie schloss die Augen und sagte leise: «Wenn ich bei dir bin, dann kann ich meine Umrisse spüren. Ich weiß, wer ich bin, was ich möchte, wer ich sein möchte. Dann gehst du wieder, und ich bin eine Frau, die das Leben an einen Platz gestellt hat und die diesen Platz ausfüllen muss. Eben, weil sie dort und nirgendwo anders gerade steht.»
«Wo wärst du stattdessen gern?», fragte Aron.
Priska sah zu ihm auf und blinzelte die Tränen weg. «Ich wäre gern bei dir, Aron. Ich würde gern mit Nora und dir leben und glücklich sein. Ich möchte dich hören, dich
Weitere Kostenlose Bücher