Die Wunderheilerin
kribbeln. Ist der Kuss gut, möchtest du den Mann am liebsten aufessen. Du willst mehr, immer mehr.» Sie kicherte. «Und nicht nur Küsse willst du.»
«Was willst du noch?»
Regina verdrehte die Augen. «Weißt du es nicht? Seine Hände sollen über deinen Körper fliegen. Du willst überall angefasst werden. Überall, Schwester. Am Schluss soll er eindringen in dich. Das ist es, was du willst, wenn einer gut küsst.»
Priska spürte, wie die Scham ihr die Wangen färbte. «Hat schon mal einer dich so geküsst?», fragte sie.
Regina lachte, warf das Haar über die Schulter, reckte die Brüste. «In der Schrift steht, es ist Sünde, sich hinzugeben, wenn man nicht verheiratet ist.»
Priska nickte. Sie wusste, Regina würde nichts sagen, doch ihre Blicke verrieten alles. «Brennt man nur von Küssen von Männern? Was ist mit den Küssen von Frauen?»
«Pfff!» Regina winkte ab. «Freundschaft ist das oder Vornehmheit oder Mütterlichkeit. Sonst nichts. Küsse von einer Frau zählen nicht.»
«Zählen nicht?»
«Wie auch! Es brennt ja nichts, und nichts wird nass.Aber es muss brennen und feucht werden, wenn man ein richtiges Weib sein will.»
Priska nickte. Sie hatte nicht genau verstanden, wovon Regina sprach. Wenn Küsse unter Frauen mütterlich waren, dann mussten Küsse unter Männern väterlich sein. Warum aber sollte Adam dann auf dem Scheiterhaufen brennen? Regina wusste sicher nicht alles, sie tat nur so.
«Wir sollten uns beeilen. Die Meisterin mag es nicht, wenn man zu spät zum Essen kommt.»
«Warte noch einen Augenblick.»
Regina stand am Fenster und winkte die Schwester zu sich. «Komm her, schau dir das an. Die neue Frau des Apothekers geht dort unten.»
Priska trat neben sie.
«Sieh nur, wie schön ihr Kleid ist. Ich wette, der Stoff kommt aus dem Burgundischen. Samt.»
Regina sprach das Wort so aus, dass es wie «Sahne» klang.
«Und die Haube ist mit Brüssler Spitze verziert. Man erzählt sich, dass sie nur weißes Brot isst und in Mandelmilch badet.»
«Unfug», erwiderte Priska. «Kein Mensch badet in Mandelmilch, und niemand ist so reich, dass er jeden Tag weißes Brot isst.»
«Doch», widersprach Regina. «Ich hab’s von der Magd gehört.»
Sie sah Priska beschwörend an. «So werde auch ich eines Tages leben. Genau wie die Frau des Apothekers.»
Priska runzelte die Stirn. «Wie willst du das anstellen? Du bist die Tochter des Henkers und kannst froh sein, wenn du einen Handwerksgesellen bekommst.»
«Pfff! Du wirst schon sehen, dass ich es schaffe. Eines Tages werde auch ich in Mandelmilch baden und nie mehr einen Fuß in eine Werkstatt setzen müssen. Ich werde den ganzen Tag mit Putz und Tand verbringen. Und Silber und Gold fasse ich nur noch an, wenn es sich um Schmuckstücke handelt.»
Priska schüttelte den Kopf, dann fasste sie Regina am Arm. «Komm, sie warten schon.»
«Weißt du, was sie von uns will?», fragte Regina.
Priska zuckte die Achseln. «Seit der Meister und Susanne weg sind, hat sie keine Familie mehr. Ob wir jetzt ihre Familie sein sollen?»
Regina schüttelte den Kopf, hob die Hand und tippte mit dem Finger dagegen. «Pah! Was die Meisterin auch sagt, für sie werden wir immer nur die unehrlichen Henkerstöchter aus der Vorstadt bleiben.»
«Adam, du musst heiraten!»
Eva saß in einem Lehnstuhl vor dem Kohlebecken in ihrem Gemach, wo sie Adam empfangen hatte. Er stand am Fenster, die Füße gekreuzt, die Arme vor der Brust verschränkt.
«Johann von Schleußig war hier. Die Leute reden über dich. Vielleicht sollten wir einen Teufelsaustreiber kommen lassen. Danach musst du heiraten. Ein verheirateter Mann und Stadtarzt ist über manches Gerücht erhaben.»
Adam schwieg. Er hielt den Kopf gesenkt und sah auf die Schöße seines schwarzen Wamses, die die Oberschenkel zur Hälfte bedeckten.
«Froh wäre ich, wäre ich diese Bürde los», murmelte er.
«Was meinst du damit?»
Adam sah auf. «Ich soll heiraten, sagst du. Als ob das so einfach wäre! Ich … ich kann einer Frau nicht beiwohnen.»
«Unfug!» Eva sah ihren Bruder aufgebracht an. «Das ist alles Einbildung. Wenn der Teufel erst einmal aus dir getrieben ist, dann wirst du auch eine Frau beschlafen können.»
«Eva, ich werde niemals eine Frau lieben.»
Eva schluckte, dann sprach sie es doch aus: «Die Ehe dient der Liebe nicht.»
«Du sagst das? Du, die ausgezogen bist, um für die Liebe zu leben? Du, die beweisen wollte, dass die Liebe der einzig wahre Lebenssinn
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