Die Zahl, die aus der Kälte kam: Wenn Mathematik zum Abenteuer wird (German Edition)
abmühen musste.
Aber der zweite Teil der Aufgabe ist noch viel verwickelter. Er verlangt, wenn man die Angaben des Archimedes richtig übersetzt, dass man zur Berechnung der Gesamtzahl der Rinder, die ein ganzzahliges Vielfaches von 50 389 082 beträgt, noch zwei zusätzliche Zahlen berechnen muss. Aus ihnen ergibt sich nämlich, wie groß das ganzzahlige Vielfache mindestens ist. Und diese beiden zusätzlichen Zahlen stehen, so Archimedes, zueinander in einer sehr subtilen Beziehung, bei der 410 286 423 278 424, ein wahrer Zahlenriese, die entscheidende Rolle spielt. 8 Das Geschick des Archimedes bei seiner Aufgabenstellung bestand überdies darin, dass er die oben genannte 410-Billionenzahl mit keiner Silbe erwähnte, sondern sie in poetischen Worten zu verkleiden verstand.
Allein dass Archimedes das plumpe griechische Zahlensystem überwand und mit einer so großen Zahl wie 410 286 423 278 424 rechnete, ringt Bewunderung ab. Aber noch erstaunlicher ist, dass er offenbar wusste, dass sein zweiter Aufgabenteil jedenfalls im Prinzip einer Lösung zugänglich ist. Im Prinzip, weil niemand die Lösung ohne moderne technische Hilfsmittel berechnen kann. Zu groß sind die dabei auftretenden Zahlen, zu mühselig die dafür notwendigen Rechnungen. Auch Archimedes wird sich nicht damit abgemüht haben. Es wird ihm genügt haben zu wissen, dass es die Lösung sicher gibt. Und vor allem war sich Archimedes einer Tatsache gewiss: Eratosthenes stand bei dem zweiten Teil des Rätsels auf heillos verlorenem Posten. Er, Archimedes, aber wusste um die Existenz der Lösung. Kein anderer, nicht einmal der ihm fast ebenbürtige Eratosthenes, konnte ihn in der Beherrschung der Mathematik übertreffen.
Erst im Jahre 1965 haben Hugh Williams, Gus German und Bob Zarnke mit den damals besten Rechenmaschinen, einer IBM 7040 und einer IBM 1620, nach einer Gesamtrechenzeit von fast acht Stunden aus dem Rätsel des Archimedes die Zahl der Rinder des Sonnengottes ermittelt. Es handelt sich um ein schier überwältigendes Ergebnis, eines Gottes wahrhaft würdig. Sind es doch mehr als 7,76 × 10 206 545 Rinder – dies ist eine Zahl, die mit den Ziffern 776 … beginnt und sage und schreibe 206 546 Stellen besitzt!
Die Zahl der Atome im Universum ist im Vergleich dazu fast ein Nichts. Und ein solch einzigartiges Genie erledigte ein barbarischer Soldat mit einem Handstreich. „O quam cito transit gloria mundi!“ („Oh wie schnell vergeht der Ruhm der Welt!“) klagt zu Recht Thomas von Kempten, der große niederländische Mystiker des ausgehenden Mittelalters.
Die größten Zahlen der Mathematik
Eine Zahl nach der anderen
Eins, zwei, drei, und so weiter. So kommen die Zahlen zustande, Und zwar alle Zahlen: Man beginnt mit eins und gibt zur zuletzt genannten Zahl Eins hinzu. So kommt man von eins zu zwei, von zwei zu drei. Und so weiter.
Dieses „und so weiter“ verbirgt einen bodenlosen Abgrund.
Denn das Zählen besitzt kein Ende. Zu jeder Zahl kann man eins hinzuzählen. Keine Zahl ist die letzte.
Wenn kleine Kinder zählen lernen, sind sie ganz stolz, über zehn, danach sogar über zwanzig hinaus zählen zu können. Sobald sie einundzwanzig erreicht haben, brauchen sie sich nur mehr die Zahlworte der Zehnerfolge zu merken. Begeistert stimmen sie den Singsang an, der sie von eins über jede Zahl bis zu hundert führt. Und wenn sie erkennen, dass man auch hundert überschreiten kann, zählen sie begierig weiter. Nur ihre Erschöpfung oder die ihrer Eltern setzt dem Zählen ein Ende.
Was aber, wenn man diese Erschöpfung zu überwinden trachtet?
Im Jahr 1965 begann der polnische Maler Roman Opalka – er war knapp 34 Jahre alt – das Projekt des Zählens als eine Tätigkeit, die im wahrsten Sinne des Wortes das Leben kostet. Die restlichen 46 Jahre seines Daseins widmete er sich ausschließlich der von ihm selbst gestellten Aufgabe: zu zählen. Auf großen Leinwänden, jede von ihnen 196 Zentimeter hoch und 135 cm breit, malte er mit dem feinsten verfügbaren Pinsel in titanweißer Schrift jeweils links oben Zeile für Zeile bis rechts unten in ein paar Millimeter großer Schrift eine Zahl nach der anderen. Ein paar Monate, nachdem er mit 1 begonnen hatte, war er bei 35 327 angekommen und hatte die dunkle Leinwand vollgeschrieben. Gleich danach fuhr er auf der nächsten Leinwand fort. Hunderte dieser Bildtafeln, die Opalka „Details“ seines unvollendbaren Werks „Opalka 1965: 1 − ∞ “ nannte, beschrieb
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